Mission - aus der Zeit gefallen | 7. Die Konsequenzen der Kritik bedenken

 

Teil 7: Mission - die Konsequenzen der Kritik bedenken 

Fazit und Schlussbemerkungen

Während im Westen die Kritik an christlicher Mission nicht abzuebben scheint, hat sich die klassische Missionsarbeit strategisch längst gewandelt und ausgeweitet. In den meisten Ländern der Erde bestehen einheimische Gemeindenetzwerke. Die übernehmen die evangelistische Pionierarbeit. Sie sind zu lokalen Akteuren der Weltmission geworden. Bereits 1987 hat Kassoum Keita, der damalige Vorsitzende der Ev. Allianz Malis erklärt, dass im afrikanischen Kontext die "Ortsgemeinde die neue Missionsgesellschaft" sei. Die „Missionarinnen und Missionare“, die von außen kommen, engagieren sich partnerschaftlich und füllen Lücken. Sie erobern nicht. Sie begleiten. Sie ordnen sich ein und unter. Versöhnungs-, Entwicklungs- und Partnerschaftsarbeit stehen längst auf der Agenda. Der vielfach proklamierte "Aufbruch in die Zukunft" hat schon längst begonnen und zeitigt Früchte.                     

Das Verb "missionieren" ist verpönt, weil damit dränglerische Konfrontation oder gar Nötigung verbunden wird. Das Phänomen gibt es unter Christen, die in Fußgängerzonen und an Haustüren ihre Zeitgenossen mit Medien und verbal bedrängen, genauso aber auch unter säkularen Ideologen, Politikern, Umweltaktivisten und Menschenrechtsaktivisten. Auch sie drängeln und konfrontieren. Im Rahmen der Weltmission hat sich längst ein anderes Verständnis missionarischer Tätigkeit und Haltung etabliert. Der Dialog auf Augenhöhe, der argumentative Austausch und das Voneinander lernen (Konvivenz) sind an die Stelle der distanzierten Konfrontation getreten. Wer Evangelium verkündigt, der macht ein Angebot, er erzwingt keinen Religionswechsel. Jörg Rieger erklärt: "Mission heißt: zeigen wofür wir stehen und anderen die Freiheit lassen, sich dazu zu verhalten. Und anderen zuzuhören, weil ihre Mission mich berühren und verändern könnte." Missionare, die im Geist der Konvivenz in neue Kulturen eintauchen und mit Menschen integrativ unterwegs sind, die können die Aussage Riegers nur bestätigen.

Der weltmissionarische Anspruch des christlichen Glaubens liegt in seiner Natur begründet. Der Glaube an die Einzigartigkeit Jesu Christi in all seinen Facetten birgt einen Absolutheitsanspruch. Ihn zu leugnen wäre fatal, jenseits aller Bemühung um adäquate Termini. Alexander Rath, ev. Pfarrer in Wittenberg, sagte 2017 in einem Interview: „Mission ist die Identität der Kirche. … Wir müssen neu entdecken, dass wir eine Jüngerkirche in der Kraft des Heiligen Geistes sind, die ausgesendet ist, um den Menschen das Christusheil in Wort und Tat zu bezeugen“. Der globale Anspruch (… machet zu Jünger alle Völker, … bis an das Ende der Welt) birgt natürlich die Gefahr, „das Eigenrecht anderer Religionen und Kulturen zu verletzen“ (Bernhard Maier, Religionswissenschaftler aus Tübingen). Dennoch erklärt der Sozialwissenschaftler Claus Leggewie: "Denn ich glaube, dass eine Religion, die den Anspruch aufgibt, missionarisch zu sein, also nicht Mission praktiziert, ihre Demission praktiziert. Sie missioniert nicht, sie demissioniert."

Die Pauschalkritik an der christlichen Missionsbewegung verbietet sich auch deshalb, weil nicht alle Missionare Kolonialisten waren und, wie wir weiter oben skizziert haben, nicht alle mit dem machthaberischen Vorgehen ihrer Heimatländer einverstanden waren. Darüber hinaus gab und gibt es weiterhin militärischen, wirtschaftlichen und ideologischen Kolonialismus, der von zivilen und staatlichen Akteuren betrieben wird – nicht von Kirchen. Längst wurden die Missionsgeschichten von A bis Z kritisch untersucht. Es entstanden multiperspektivische Analysen. Neben die ideologisch gefärbte Kritik seit den 1960er Jahren ist eine sachlich differenzierte Kritik getreten, die die christliche Missionsbewegung durchaus positiv rezipiert, ohne die negativen Elemente zu verschweigen. Missionarinnen und Missionare haben enorme Beiträge zur linguistischen, kulturanthropologischen und religionswissenschaftlichen Forschung geleistet, obwohl sie den Denksystemen und Handlungsmechanismen ihrer Zivilisationen verhaftet blieben. Die christliche Missionsbewegung hat Plattformen der Begegnung geschaffen, von denen nicht nur die Kirchen profitieren. Ulrich van der Heyden und Andreas Feldtkeller haben diesen Tatbestand eindrucksvoll in ihrem Buch "Missionsgeschichte als Geschichte der Globalisierung von Wissen. Transkulturelle Wissensaneignung und -vermittlung durch christliche Missionare in Afrika und Asien im 17., 18. und 19. Jahrhundert" dokumentiert. Der vestorbene gambische Theologe Lamin Sanneh unterstreicht: "In der kolonialen Ära wurden die einheimische afrikanische Kuturen von Missionaren vor der kulturellen Eruption beschützt. Wenn die Worte und Absichten des höchsten Gottes selbst in afrikanischen Sprachen ausgedrückt werden können, dann kann die afrikanische Kultur nicht so unbedeutend sein, wie es Kolonialisten und Sklavenhändler immer vorgegeben haben."

Maier zeigt in seinem Buch „Die Bekehrung der Welt“, dass Mission nicht einseitig aus dem besteht, was die Missionare beabsichtigten und taten. Mission hat eine pragmatische, eine auf Wirkung abzielende Dimension, die Missionare aber nicht immer in der Hand hatten. Johann Hinrich Claussen , Kulturbeauftragter des Rates der EKD, schreibt in seiner Rezension zu Maiers Buch: „Die Geschichte der christlichen Missionen (ist) vor allem die Summe ihrer unbeabsichtigten Nebenwirkungen und ungewollten Rückkoppelungen. Denn Mission ist am Ende immer auch das, was die Missionierten aus ihr machen. Religionen sind keine fixen, statischen Größen, sondern sie verbinden, vermischen und verändern sich bei jeder Begegnung mit einer anderen Religion. So hat die Mission weniger dazu geführt, dass Afrika christianisiert, als dass das Christentum afrikanisiert wurde“. Die rein zahlenmäßige Dominanz afrikanischen Christentums und die vielfach ausdifferenzierten Ausformungen zeugen von der „ungewollten Rückkoppelung“. 

Es gibt Kirchen in Asien und Afrika, die auf ihre missionsgeschichtliche Vergangenheit stolz sind und „ihre Missionare“ bei Jahrhundertfeiern hochleben lassen und ihren Beitrag würdigen. Daneben gibt es auch die "einheimischen Helden", die Evangelisten und Gemeindegründer, die mit voller Hingabe und strategischer Weitsicht die Missionsgeschichte ihrer Länder gestaltet  haben. Bokari Saba aus Mali ist so ein Beispiel. Ohne seinen Einsatz hätte sich die Missionsarbeit der amerikanischen Missionare längst nicht so erfolgreich entwickelt. In Mali dreht ein junger malischer Regisseur einen Dokumentarfilm über die Anfänge der Missionsarbeit in seinem Land, die zur Gründung der Denomination geführt hat, zu der er selber gehört. Diese Stimmen werden zu wenig gehört. 

Rolihlahla Nelson Mandela, der erste demokratisch gewählte Präsident Südafrikas, hat eine Missionsschule besucht. Er erklärte einmal: "Der Besuch der Clarkebury Mission School hat mich dazu gebracht, die damaligen gesellschaftlichen Verhältnisse kritisch betrachten zu können." Die Schule wurde von methodistischen Missionaren gegründet. Auch die kirchlichen Schulen wurden kolonialistisch instrumentalisiert. Sie bildeten aber Studenten aus, die gegen den Kolonialismus waren. Sie inspirierten durch ihre religiösen Ideale das Streben nach Rassengleichheit, Freiheit und Unabhängigkeit. Diese Anekdote belegt die Notwendigkeit differenzierter Kritik und zugleich die positiven "Nebenwirkungen", die trotz aller zeitgeschichtlichen Ambivalenzen von der christlichen Missionsarbeit ausgingen. 

Malische Kirchen bilden "Missionskomitees" und entsenden Missionare ins Landesinnere, um Evangelium zu verkündigen und Gemeinden zu gründen. Der Begriff wird nicht umgangen, sondern kirchenintern selbstbewusst genutzt. Dabei steht die Rückbesinnung auf den biblischen "Missionsauftrag" als Bezugspunkt im Vordergrund. Die belastete Missionsgeschichte spielt hier keine Rolle. Auch Malier sind Missionare. Würde man ihnen nahelegen, den Begriff nicht mehr zu benutzen, dann käme dies m.E. einer diskriminatorischen Maßnahme gleich nach dem Motto: "Warum dürfen Europäer und Amerikaner sich Missionare nennen und wir Afrikaner nicht?" Bei einem Seminar einer lutherisch kamerunischen Missionsgesellschaft haben wir uns als Missionarskollegen während einer Fortbildung in Bamako zusammengesetzt und über adäquate Strategien missionarischer Gemeindegründung im nomadischen Kontext Zentralmalis nachgedacht. Jeder von ihnen war stolz, ein Missionar zu sein. In Bamako sieht man Autos im Straßenverkehr, wo afrikanische Missionare ganz selbstverständnlich ihr Logo mit der Aufschrift "société missionnaire" auf ihrem Dienstwagen präsentieren. In internationalen, von PoC (People of Colour) geprägten Gemeinden in Deutschland, werden Prediger ganz selbstverständlich als Missionare betitelt. Die einen wollen den Begriff abschaffen, die anderen führen ihn wieder ein, erklären ihn und benutzen ihn selbstbewusst.

Die westliche Missionskritik hat sich längst zu einem „säkular-missionskritischen Paternalismus“ (Claussen) hochstilisiert. Der Säkularismus ist zu einem "Übervater" geworden, der Christen in die Schranken weist. Es gehört sich, christliche Missionsarbeit pauschal zu kritisieren. Wer es nicht tut oder differenzieren will, der macht sich schuldig am kollektiven Gedächtnis der Völker und am modernen Toleranzgedanken. Mission – nein Danke!? Ehrlichkeit ist gefragt. Wir unterliegen seitens der Medien und der Wirtschaft ständig "subtilen Bekehrungsversuchen". Von "links durch die Brust ins Auge" wird versucht, eine politisch korrekte Meinung zu etablieren und denjenigen, die sie nicht teilen zu vermitteln, dass sie out sind (z.B. in politischen gesellschaftlichen oder ethischen Fragen). Auch Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen haben eine Mission. Entwicklungshelfer sind säkulare Missionare (Bernhard Maier). Entwicklung ist die neue Bekehrung. Das Pochen auf dem Einhalten von universal gültigen Menschenrechten seitens westlicher Diplomaten ist lobenswert, hat aber eine missionarische Dimension. Auch sie greifen von außen ein in die inneren Angelegenheiten ihnen fremder Kulturkreise. Sie wollen überzeugen und manchmal klingt es konfrontativ und arrogant. Das geschieht heute im Namen des säkularen Staates, ganz offiziell. Politiker und Diplomaten dürfen das. Die Universalität der Menschenrechte gebietet es. Wenn Christen so etwas tun, ist es Kulturimperialismus. In der Hochzeit der Mission waren es freie christliche Bürgerbewegungen, meist parakirchliche Missionsgesellschaften, die zwischen Kollaboration und Kritik am kolonialistischen System schwankten. 

Der „Geist der Mission“ im negativen, manipulierenden, zivilisatorisch transformierenden Sinne ist noch hellwach. Die Christen haben ihre Lektion gelernt – und die anderen?

Und zum Schluss ...

  • Fundamentalkritiker wollen nicht nur den Begriff, sondern die christliche Mission an sich abschaffen. Zwecklos.
  • Wer in die Jahre gekommene und ambivalent rezipierte Begriffe aus Imagegründen ersetzt, der wird eher wahrgenommen. Er muss sich dafür aber an anderer Stelle tiefgründiger erklären.
  • Das Konzept "Mission" hat für mich eine theologisch tiefe und tragende Bedeutung. "Mission" als Begriff aufzugeben wäre nur dann akzeptabel, wenn er adäquat und mit breiter Resonnanz ersetzt werden kann.  
  • Es ist meines Erachtens redlicher, konzeptionelle Begriffe zu erklären, selbstverständlich mit Hilfe zeitgemäßer Metaphern, und sich mit der Kritik auseinanderzusetzen, statt ihr mit einer veränderten Nomenklatura zu entgehen versuchen.
  • Die Berufsbezeichnung "Missionarin/ Missionar" kann modifiziert werden und je nach Kontext weggelassen werden, wenn dadurch die Arbeit gefährdet ist und der Begriff nicht mehr dienlich ist. 
  • Das "Missionarische" als Teil des Berufungs- und Amtsverständnisses kann nicht aufgegeben werden.
  • Letztlich wird keiner dazu gedrängt, den Begriff "Mission" zu verwenden oder sich "Missionar" zu nennen, wenn ihm das wording zu altmodisch oder zu belastet erscheint. Umgekehrt sollte auch niemandem "dringends empfohlen" werden, ihn abzulegen, wenn er ihn aus theologischen Gründen und wegen der historischen Verantwortung für notwendig erachtet.
  • Missionsgesellschaften sind keine "Handwerkskammern", die über Berufsbezeichnungen befinden können. 
Die Missionsbewegung ist ein "lernendes Sozialsystem, das auf Wandel reagieren und sich daher selbst reformieren kann" (so Michael Sievernich in Bezug auf die Kirche). Die Selbstevangelisierung, die Bewusstmachung der dynamisch missionarischen Kraft des Evangeliums, darin liegt der Schlüssel, um dem Wandel der Zeiten erfolgreich zu begegnen. Die Feinjustierungen der Strategien und Konzepte müssen in diesen Prozess der Erneuerung eingebettet sein.  
Die in westlichen Ländern zu beobachtende Tendenz, der Mission jegliche Berechtigung der zielorientierten Kommunikation des eigenen Glaubens zu nehmen, der Gefahr der religiösen Konfrontation zu entgehen, den offenen Dialog nicht nur als kommunikative Methode, sondern als Alternative zur Evangelisation zu definieren, die Notwendigkeit der Bekehrung kleinzureden - all das spiegelt letztlich eine reverse westliche Dominanz.

Ich plädiere für ein stärkeres Selbstbewusstsein, für eine Missionsbewegung, die vom und gemeinsam mit dem globalen Christentum lernt, indem sie ohne Berührungsängste von "Gottes Mission" redet und sich mutig in sie einklinkt. 

Friedemann Walldorf formuliert: "Die Mission als missio Dei ist unserem missiologischen Erkennen und missionarischen Handeln uneinholbar vorgeordnet." Weil das so ist, sollten wir den Begriff nicht leichtfertig hergeben. Trotz allem gilt: Die Missionswissenschaft ist eine missiologia viatorum. Sie lebt, indem sie sich verändert.

Gott ist trotz seiner Unsichtbarkeit eine Realität in dieser Welt. Wer die Welt verändern will, der kann das nicht ohne Gott, den Schöpfer und Hoffnungsgeber. (vgl. Jürgen Moltmanns Theologie der Hoffnung). Wenn das so ist, dann müssen wir es offen sagen und entsprechend auftreten. Dass Gott uns eine Mission anvertraut, muss, trotz aller spirituellen Konnotationen, genauso selbstverständlich klingen wie die Rede von der Mission weltlicher Unternehmen, Institute und Forschungseinrichtungen. 
Vielleicht kommt wirklich einmal die Zeit, wo der Begriff "Mission" durch ein besseres Konzept und einen anderen Namen ersetzt wird. Es lebe die theologische Kreativität. Vielleicht kommt auch die Zeit, zumindest in Europa, wo der Beruf des "Missionars" einfach in der Versenkung verschwindet, es einfach keine mehr gibt, die KI ihn ersetzt hat, oder weil "man es nicht mehr sagt" und wir es gemacht haben wie mit den "Drehern" in den Fabriken, die heute "Zerspanungsmechaniker" genannt werden.

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