Mission - aus der Zeit gefallen | 3. Die Suche nach alternativen Begriffen
Teil 3: Mission - die Suche nach Alternativen Begriffen
1. Gibt
es Gründe, die Begriffe "Mission", "Missionsgesellschaft" und
"Missionarin/ Missionar" nicht zu verwenden oder sparsam damit
umzugehen?
Die genannten Begriffe bilden folgende Realtitäten ab:
- eine (missions) -theologische Grundüberzeugung, die die Mission Gottes und seiner Gemeinde reflektiert,
- ein missionarisch konzeptionelles Selbst- und Amtsverständnis, das die Person des Missionars betrifft,
- eine
organisatorische bzw. berufstechnische Realität, die
Missionsgesellschaften, missionsrelevante Berufsbilder,
Missionsstrategien usw. abbildet,
- eine kommunikative
Außenwirkung, die darauf achtet, dass das, was inhaltlich wichtig ist,
verständlich in die Öffentlichkeit transportiert wird
Es mag sein, dass die Entscheider und Wortfinder einfach "mit der Zeit gehen" wollen, um ein erhöhtes Maß an Verständlichkeit zu erzeugen. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass immer dann, wenn Begrifflichkeiten verändert werden, auch Inhalte "verrutschen" können. Ein Beispiel: Der Slogan der Allianz-Mission lautete bis in die 1990er Jahre "Christus, das Heil für die Welt". Die Formulierung geht zurück auf Carl Polnick, den Mitbegründer des "Allianz-Missionsvereins" im Jahr 1889. Später lautete der Slogan "Christus für die Welt". In beiden Formulierungen wird der Christusbezug explizit erwähnt. Christus ist und bleibt Bezugspunkt der Missionstätigkeit der Gemeinde. Heute "wirbt" die Allianz-Mission" mit "Menschen bewegen. Welt verändern". Der Christusbezug taucht nicht mehr auf. Jeglicher theologische Bezugspunkt ist in der Formulierung verloren gegangen. Man muss ihn sich "dazu denken".
Macht es Sinn, auf das Wortfeld Mission aus bestimmten Gründen zu verzichten oder die Worte zu modifizieren? In Gesprächen und Artikeln habe ich folgende Meinungen entdeckt und unterteile sie in zwei Kategorien:
a. Verständlichkeit und Image:
Die Nennung des Berufs "Missionar" darf nicht in ein Referat über die eigene Identität auswuchern. Mit der Berufsbezeichnung „Missionar“ gehe ich sparsam um, weil es mir zunächst darauf ankommt, dass Gesprächspartner verstehen, was ich tue und nicht, wie ich meine Identität definiere. Eine Gymnasiallehrerin würde auch nicht in jedem Gespräch erklären, welche inneren Gründe und Werte sie dazu veranlasst haben, Pädagogin zu werden. Wenn Zeitgenossen das wissen wollen, dann können sie nachfragen.
Wir benutzen moderne Slogans, um die Aufmerksamkeit zu erhöhen und wahrgenommen zu werden. Der Begriff "Mission" wirkt aus christlicher Sicht altmodisch. Deshalb ändern wir den Namen unserer Organisation und fügen ansprechende Slogans hinzu. Als "Marke" wahrgenommen zu werden ist uns mehr wert, als an Worten zu kleben.
Die Benutzung des Wortfeldes "Mission" macht wenig Sinn, weil man zu viel erklären muss. Es kann weder in kirchlichen noch in säkularen Kreisen vorausgesetzt werden, dass der Begriff "Mission" oder "Missionarin/ Missionar" unvoreingenommen besetzt ist. Die Leute haben "ihre" Vorstellung und die stimmt in vielen Fällen nicht mit dem überein, wie "Mission" in der heutigen Zeit begründet und gelebt wird.
b. Kontextrelevanz:
Der Kontext entscheidet darüber, ob ich mich als "Missionarin oder Missionar" bezeichne oder nicht. Die Berufsbezeichnung "Missionar" im atheistischen Kontext Ostdeutschlands würde negativ rezipiert. Die Tür zu den Menschen wäre von Anfang an verschlossen, entweder weil sie den Begriff nicht kennen oder ihn als übergriffig empfinden. Das ist nicht im Sinne meines eigentlichen Anliegens, nämlich Menschen mit der Botschaft Jesu zu erreichen. Im entwicklungspolitischen und wirtschaftlichen Kontext oder im Bildungssektor kommt es eher darauf an, dass deutlich wird, was ich fachlich zur Verbesserung von Lebensumständen beitragen möchte. Christliche Fachkräfte International (CFI) haben sich in "Coworkers" umbenannt, verstehen sich aber immer noch als christliche Fachkräfte. Sie arbeiten im Kontext der Entwicklungszusammenarbeit und werden vom Staat mitfinanziert. Als "Coworker" kann man sich auch in einer säkularen Öffentlichkeit und im ministeriellen Kontext präsentieren. Dieser Name spiegelt eine doppelte Ebene, die Anbindung an Gott (Gottes Mitarbeiter) und die Anbindung an Menschen (partnerschaftlicher Mitarbeiter). Auch "coworkers" werden "ausgesandt" und vor Ort höchstwahrscheinlich als Missionare angesehen, auch wenn sie sich nicht so nennen. Andere sind der Meinung, dass der Berufsmissionar nicht mehr benötigt wird, weil seine Tätigkeit durch agile Netzwerke lokaler und globaler Prägung ersetzt wird.
Ich nenne mich nicht "Missionarin bzw. Missionar", um meine Arbeit und meine Person zu schützen. In islamischen Ländern kann die Namensnennung "Missionar" zur Ausweisung führen. Pastoren in Mali, die in einem animistisch oder islamischen Milieu evangelisieren und Gemeinden gründen wollen, nennen sich nicht Missionare, sondern lassen es bei ihrer Berufsbezeichnung. Trotzdem betrachten sie sich von ihrer Einstellung her als Missionare. Bei der Beantragung eines Visums für bestimmte Länder ist es notwendig, den erlernen Beruf zu nennen oder die Tätigkeit die man ausübt, weil die Ausreise als "Missionar" von vorneherein verweigert würde. Hier sind kreative Optionen nötig. Missionare wollen ihre Identität im digitalen Raum nicht nennen oder mit "Mission" in Verbindung gebracht werden, um Optionen einer Betätigung in eher "kritischen Regionen" nicht zu verbauen.
Ich nenne mich nicht "Missionarin bzw. Missionar", weil der Missionsauftrag nicht an einzelne Personen erging, sondern an die ganze Kirche. Mission bedeutet im globalen Kontext, "Kirche in Bewegung" zu sein. Jeder Nachfolger und jede Nachfolgerin Jesu ist ein Gesandter, ein Missionar und beauftragt, dem Evangelium Jesu zur Ausstrahlung zu verhelfen. Jeder ist ein Salzkorn, um, in vielen Fällen als Minderheit, die Mehrheitssuppe zu salzen. Die Entsendung von Missionaren soll nicht die Regel, sondern die Ausnahme sein.
Mir
fiel in den Gesprächen auf, dass die koloniale Vergangenheit bei
denjenigen, die den Begriff vermeiden wollen, eine eher untergeordnete
Rolle spielt. Auch das Interesse an missionstheologischer Reflexion
hielt sich in Grenzen. Die säkulare Kritik am Begriff "Mission" wird
ebenfalls nur peripher aufgegriffen. Der kommunikative, auf
unvoreingenommenes Verständnis und Akzeptanz ausgerichtete Aspekt spielt
bei vielen eine zentrale Rolle.
2. Welche begrifflichen Alternativen gibt es für das Wort "Missionar" aus theologischer und sprachlich zeitgenössischer Perspektive?
Folgendes ist mir dazu eingefallen;
- Apostel: Diese Bezeichnung trifft theologisch den Kern. Apostel als Titel oder Berufsbezeichnung ist in kirchlichen Kreisen jedoch umstritten. Für Außenstehende klinkt er antiquiert. In manchen afrikanischen Ländern ist er intern als "missionarischer" Titel anerkannt, in anderen Ländern verpönt, weil damit eine übergeordnete Stellung in der kirchlichen Hierarchie suggeriert wird, die von Pastoren und Evangelisten abgelehnt wird. In pentekostalen Kreisen ist der Apostel vielfach eine Person, die in der Lage ist, spektakuläre Wunder zu vollbringen, oder Initiator einer geistlichen Erweckung zu sein. Der Apostel wird im Westen heute nicht mehr explizit mit missionarischer Arbeit in Verbindung gebracht. In der katholischen Kirche ist der "apostolische Stuhl" (apostolica sedes) von seiner "Heiligkeit", dem Papst besetzt. Die sog. "apostolische Sukzession " bezieht sich eher auf die historische Verbindung mit den urchristlichen Aposteln (traditio apostolica) und auf die treue Weitergabe bzw. auf die Bewahrung der christlichen Lehre, was Evangelisierung einschließen kann, aber nicht muss. Es kommt nicht von ungefähr, dass auch in der katholischen Kirche die interkulturelle missionarische Arbeit vorwiegend von Missionsorden getragen wird. Der apostolische Nuntius ist ein Diplomat des Vatikans. Im Zuge der Erweckungsbewegung in Wales entstand am Anfang des 20. Jahrhunderts die Apostolische Kirche, die sich auf das Urchristentum bezog. In der Neuapostolischen Kirche gibt es ein Apostelamt, das mit umfassenden Vollmachten verbunden ist. Angesichts der tendenziellen Vereinnahmung des Apostolischen durch kirchliche Strukturen, bedeutet das Wortfeld "Mission und Missionar " aus historischer Sicht eine Befreiung, das in die Weite führt und Dynamik symbolisiert.
- Botschafter: Der Begriff ist biblisch (2Kor 5,20), aber von den Diplomaten schon besetzt. Manchmal benennen auch Hilfs- oder Menschenrechtsorganisationen, aber auch Stiftungen und Unternehmen Botschafter, um repräsentative Aufgaben zu übernehmen.
- Jesusnachfolger: Missionare könnten sich alternativ einfach "Jünger Jesu" nennen, oder "Jesusnachfolger" und sich begrifflich so "unter das Volk mischen". Das wäre biblisch und hebt die Lernbereitschaft hervor und das demütige Hinterherlaufen. Es klingt nicht übergriffig und anmaßend. Doch Jesus hat gerade die Jünger Apostel genannt (vgl. u.a. Luk 6,13), um hervorzuheben, dass er mit ihnen etwas Spezielles vorhat. Aus den Lernenden werden Gesandte, die nicht aufhören Lernende zu sein. Den zwölf, zu Aposteln gewordenen Jüngern, hat er das Mandat der Weltevangelisation anvertraut.
- Mitarbeiter: Wenn ich den Begriff Mitarbeiter verwende, dann muss ich klären, wessen Mitarbeiter ich sein soll – Mitarbeiter in einem arbeitsrechtlichen Sinne als Angestellter der mich entsendenden Organisation und/oder in einem theologischen Sinn als „Mitarbeiter Gottes“ (synergoi tou theou) und/oder im berufsethischen Sinn als interkultureller Mitarbeiter, der sich in die Strukturen der Partnerorganisationen des Arbeitsgebietes im Ausland integriert. Das Verständnis von synergoi impliziert, dass da einer ist, der Arbeit bereithält und Partner sucht, die sich in diese Arbeit einklinken. Genau das ist mit missio Dei und der menschlichen Teilhabe an ihr gemeint.
- Pilgrims and priests: In den Niederlanden u.a. erhalten die genannten Bezeichnungen im Kontext der Mission wieder neue Bedeutung. Missionare sind Menschen, die mit Gott unterwegs sind. Der mittelaterliche Begriff Pilger bildet dieses Verständnis auf theologischer Ebene zwar gut ab, ist aber wegen der Geschichte der Kreuzzugsfahrer, die sich ihrerseits "Pilger ins Heilige Land" nannten, negativ konnotiert. Der Aspekt der Priesterschaft versteht Stefan Paas (2019) als eine missionarische Funktion. Der Missionar vertritt Menschen vor Gott, im Gebet und Ringen um ihr geistliches Wohl, und andererseits dient er den Menschen stellvertretend und im Auftrag Gottes.
- Gesandter: eine Person, die i.d.R. einem Minister, einem Botschafter oder dem Staat, den er vertritt, zuarbeitet (Sondergesandter)
- Agent: Dieser Ausdruck ist "nachrichtendienstlich" belastet und gilt in der Wirtschaft als veraltet. Der englische Begriff "agent" stammt aus dem Management und bezeichnet einen Interessensvertreter oder eine Person, die strategische Vorgaben an andere vermittelt. Das klingt modern, impliziert aber übergeordnete Einmischung.
- Influencer (Tick-Tock Missionare):
Eignet sich diese Bezeichnung für "Missionare", die im digitalen Raum,
im Metaverse unterwegs sind, um christlichen Glauben "zu platzieren" und
zu kommunizieren? Influencer im profanen Bereich "vermarkten" Lifestyle
und Produkte. Sie sind Meinungsmacher und als solche missionarisch
unterwegs, oder nicht? Die Kölner Agentur OSK (Oliver Schrott
Kommunikation) kategorisiert Influencer in Inspiratoren,
Selbstdarsteller, Erklärer, Experten, Coaches und Missionare. Die
Schweizer Satirikerin Patti Blaser bezeichnet die Missionare
ironischerweise als Influencer. Die Leute von OSK sagen es genau
umgekehrt: Influencer sind Missionare. Influencer sind Multiplikatoren
und Brückenbauer. Auch diesem Begriff wird eine kritische Einordnung nicht erspart bleiben, und das schon nach einer kurzen Zeit. Wer Influencer ist, der sammelt Follower, um sie "zu beeinflussen", und er kassiert dabei ab ohne nennenswerte Anstrengung, so der Eindruck.
- Missional professionnals: Das ist eine Bezeichnung für Menschen, die in ihrem Job missionarisch tätig sind. Dieses Konstrukt könnte in Form anderer Kombinationen konkretisiert werden: missional coworkers, missional medicals, missional mechanics, missional enterprise, usw. Als Alternative für diese Art von Missionaren wird im digitalen Raum schon eine wohlklingende Alternative gehandelt: kingdompreneur. Das Wort eignet sich wohl eher für Extreminsider der Szene. Oder vielleicht war es ein Vorschlag für das Unwort des Jahres, wer weiß!?
- Interkultureller, internationaler oder partnerschaftlicher Mitarbeiter: Das Wort korrespondiert partiell mit der Teilhabe an Gottes Mission. Es handelt sich um eine Person, die sich als Partner versteht, andere Kulturen und Ansätze respektiert und die mit hoher interkultureller Kompetenz sich einklinkt in bestehende Projekte oder neue gemeinsam mit den lokalen Partnern angeht. Sie ist eine Kombination aus Pionier und kooperativer Begleiter. Auch dieser Begriff erklärt sich nicht von selbst, sondern muss erläutert werden. Mit dem Begriff Mitarbeiter verbinden wir ein Anstellungsverhältnis, kollegiales Miteinander und das Empfangen von Anweisungen. Die apostolische Freiheit und die Dynamik der Mission steht dabei nicht im Vordergrund.
- Ökumenischer Mitarbeiter: Ausgehend von der Erkenntnis, dass der missionarische Auftrag der gesamten Kirche gilt, bezeichnen sich Personen im internationalen kirchlichen Kontext (Mitglieder von Kommissionen oder im Rahmen des pastoralen Austauschs) als Mitarbeiter. Ihr Ziel besteht darin, die Kirche im Sinne der missionalen Theologie zu motivieren und globales Lernen zu ermöglichen.
- Global Partner: Einige, vorwiegend im anglophonen Raum ansässige Missionsorganisationen, benutzen diesen "neutralen" Begriff, um den Zugang in bestimmten Kontexten und Arbeitsbereichen, zu erleichtern und nicht direkt mit fragwürdigen Konnotationen in Verbindung gebracht zu werden.
- Missioner statt missionary: Die amerikanische katholische Missionsgesellschaft Maryknoll nennt ihre ausgesandten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter "missioners". Damit versuchen sie sich von den negativen kolonialen Konnotationen zu verabschiedien. Missoners machen keine Proselyten, drängen sich also nicht auf, sondern sie machen Vorschläge, indem sie sich an das Credo von der heiligen Theresa von Kalkutta anlehnen: "Ich vermittle den Menschen eine Gotteserfahrung; danach ist es ihnen überlassen, wie sie ihren Gottesdienst gestalten."
- Wir streichen den Begriff "Missionarin bzw. Missionar" und belassen es bei der Nennung des erlernten Berufs
bzw. der ausgeübten Tätigkeit. Wir verschweigen den ideelen Hintergrund
und begnügen uns mit der soziologisch professionellen Ebene. Wer als
Angestellter einer Missionsgesellschaft oder einer anderen kirchlichen
Organisation z. B. sagt, ich gehe als Christin und Ärztin nach
Äthiopien, der wird trotz allem damit rechnen müssen, dass er von seinen
Zeitgenossen intuitiv mit "Mission " in Verbindung gebracht wird. Im
Sportstudio im Nachbarort wissen viele, dass ich ab und zu nach Mali
reise. "Was machst du da? Ist das nicht zu gefährlich", fragen sie
besorgt. "Gefährlich ist es schon", sage ich, "aber ich bin ja nicht
alleine vor Ort. Ich habe Kollegen und Freunde. Wir sind schon seit
vielen Jahren dort unterwegs. Ich bin Dozent für Theologie und helfe,
malische Pastoren und Mitarbeiter für die kirchliche Arbeit auszubilden.
Wir sind darüber hinaus dabei, eine christliche Schule aufzubauen, und
ab und zu gehe ich als Seelsorger mit meinen Kollegen in Gefängnisse".
"Ah, interessant", bekomme ich zu hören. "Du bist also Missionar?!".
Entlarvt. Ein paar Tage später kommen wir auf Mali und die Friedensmission der Bundeswehr zu sprechen. "Die Soldaten ziehen langsam ab", sagt mein Sportskamerad, während er sich in der Umkleide die Sportschuhe anzieht, "gestern kam eine Reportage im Fernsehen. Der Oberst hängt jetzt seine Uniform an den Nagel". "... und der kassiert jetzt eine kräftige Abfindung", füge ich hinzu. "Und wer bezahlt dich, wenn du nach Mali fliegst?", werde ich gefragt. "Von meiner Missionsgesellschaft", erkläre ich. - "Also von der Kirche?" - "Ja, eine kirchliche Organsaition" sage ich. Ich merke, dass die Leute Mission und Missionsgesellschaft schon realistisch zuordnen können. Sie wissen, dass ich Theologe bin, ein Missionar, der in Mali arbeitet, und dass man bei mir zu Hause zwar eine Bibel, aber kein Schwert findet. Ausweichmanöver und Kapriolen aus Furcht, missverstanden zu werden, sind fehl am Platz. Es ist verständlich, dass Universitätsprofessoren,
Lehrerinnen, Unternehmer oder Sozialarbeiterinnen, die mit örtlichen
Behörden, Bildungseinrichtungen, Firmen oder anderen nichtkrichlichen
Partnern zusammenarbeitet sich nicht als Missionarin oder Missionar
bezeichnen. Sie wollen als Fachkräfte und Partner ernst genommen werden.
Sie verstehen sich als gemeinwesenorientierte Missionare, nennen sich
aber nicht so.
- missio dei (Gottes Mission) = Ala ka cidenya (wörtl. Gottes Teilhabe an einer wichtigen Arbeit bzw. Einladung zur Teilhabe an einem wichtigen Auftrag, den Gott erteilt hat)
- Mission = ci (Varianten: Auftrag, Botschaft, dringende Aufgabe, Pflicht, zu erledigende Arbeit, Nützlichkeit, das, was jemand benötigt); cidenya (wörtl. Auftragsteilhabe)
- Missionar = ciden (wörtl. Gesandter, Mitglied, Teilhaber an der Arbeit)
- jemanden auf Mission schicken - ka ci bila moko kan (wörtl. jmd. einen Auftrag aufladen)
- das Erstarken des Globalen Südens,
- die diversen Background-Believer-Movements in der islamischen Welt und in Asien,
- die Herausforderung des Metaverse, der digitalen Räume und der hybriden Kirche,
- die stärkere Betonung des Ehrenamts und Einbeziehung privater Initiativen,
- die Massen der dynamischen Christen im Untergrund in totalitären Regimen,
- das gemeinwesenorientierte missionarische Engagement von Christen in Kommunen, der Wirtschaft und anderen zivilen Bereiche, das nicht in den klassischen Organisationen abgebildet ist,
- die nicht abreißenden Migrationsbewegungen, die zu reziproker kultureller und religiöser Beeinflussung führen,
- die mission in return-Bewegung, wo Missionare aus ehemaligen "Missionsländer" den christlichen Glauben zurückbringen in die inzwischen säkularisierten traditionellen "Entsendeländer" der westlichen Welt ...
Sam George (Wheaton, USA) und Godfrey Harold (Stellenbosch, Südafrika) haben in ihrem Artikel "Motus Dei (The Move of God): A Theology and Missiology for a Moving World" aus dem Jahr 2021 den Versuch unternommen, das Konzept der motus Dei (Bewegung Gottes" als Alternative zur missio Dei zu entwickeln. Ihre These: "Der Gott der Bibel ist ständig in Bewegung, und er lädt seine Anhänger ein, ihn zu begleiten, um zu sehen, was er in der Welt tut. Bei der Mission geht es also darum, sich mit Gott zu bewegen, um zu sehen, wie alle Dinge neu gemacht werden, indem wir unsere wandernden Schritte mit dem sich bewegenden Gott synchronisieren. Bei der Mission geht es darum, Gott zu folgen, sich zu bewegen und ihn einzuholen in vielen verschiedenen kulturellen und geografischen Räumen auf der ganzen Welt, und in unserer Wertschätzung für Gottes Wirken in, durch und um uns herum, während wir uns bewegen."
Der Begriff motus Dei ist "erfrischend" neu, so die Autoren, und passt "perfekt" in das Zeitalter der Migration.
- empirische Wahrnehmung: Der Begriff Mission impliziert in der empirischen Wahrnehmung ein Innen und Außen, ein Oben und Unten, einen Sender und Boten, auf der einen Seite die Wissenden und Rechtgläubigen, auf der anderen die Ignoranten und Ungläubigen. Der Begriff Bewegung (motus) löst diese Gegensätze auf. Die Hierarchien werden flacher. Jeder ist wissend und Lernender zugleich, Gesandter und Empfangender. Alle Initiativen werden gleich wertgeschätzt.
- sprachliche Einordnung: Auf sprachlicher Ebene impliziert motus Agitation, monotoner Betrieb, technischer Ablauf, Entwicklung, Richtung, quantitatives und qualitatives Wachstum, flexible Verlagerung, Emotion, strategische Manöver u.a.
- philosophische Interpretationen: In der aristotelischen Philosophie bezieht sich motus auf die Dynamik zwischen substantiellem Entstehen und Vergehen, Verdichtung und Verdünnung, qualitative Veränderungen und auf lokale Bewegungen von einem Ort zum anderen. Letzteres war für Aristoteles zentral. Ursprünglich betraf motus die Welt der Physik und Mechanik. Dieser Aspekt taucht in der Moderne und in den Naturwissenschaften wieder stärker auf.
- theologische Einschätzung: Auf theologischer Ebene gilt es zu analysieren, worin die Unterschiede zwischen missio und motus bestehen.
a. Mission fokkusiert zunächst das Momentum der Sendung, die von Gott ausgeht und sich in konkreten Aufträgen und strategischen Modi zeigt. Missio Dei kann grammatikalisch als subjectivus verstanden werden, wo Gott sich selber sendet, aus sich herausgeht, sich selber beauftragt, sich also was vornimmt (Joh 20,21; 5,30). In Hesekiel 34,16 "nimmt sich Gott vor", die Verlorenen zu suchen. Ähnlich heißt es in Lukas 19,19: Ich, Jesus, bin gekommen, um zu suchen, was verloren ist. Der Suche Gottes liegt sozusagen " ein Entschluss, eine Selbstbeauftragung bzw. eine Selbstsendung" zugrunde. Missio Dei kann aber auch als objectivus interpretiert werden, wo Gott andere sendet, die gehen, um einen Auftrag zu erfüllen. So überwindet Gott die einseitige Dimension unseres Verständnisses von Mission, wo der Sender nur einen Auftrag erteilt, der von anderen ausgeführt wird. Die Sendung impliziert also Beauftragung, Bewegung und Veränderung. Nachfolge ist ein Grundprinzip der Mission. Gott entsendet uns nie in "leere Räume", sondern füllt sie mit seiner vorauseilenden und begleitenden Gegenwart. Missionare folgen Gottes Spuren und tun die Werke, die er zuvor bereitet hat (Eph 2,10). In unwegsamem Gelände, wo wir Gottes Gegenwart nur schwerlich erahnen können, gibt es wenigstens "einen Wolf", der uns das Leben schwer macht und Kreativität und Stehvermögen herausfordert. - b. Motus reflektiert das göttliche Handeln in der Geschichte als Bewegung, die von ihm ausgeht, Menschen einbezieht und zur Transformation führt. In der Philosophie wird von der Bewegung (motus) als einer forma fluens (fließende Form) gesprochen. Jede Bewegung, um zu fließen, benötigt eine Form, eine initiale Idee, um angestoßen zu werden. Bei Platon ist die Form die dem Sichtbaren, also der Bewegung, zugrundeliegende formgebende Idee. Bei Aristoteles ist die Form die Ursache, das gestaltende Prinzip des materiellen Werdens. Wenn wir das Konzept der Mission als forma fluens ansehen, dann meinen wir damit, dass die Mission Gottes grundlegende Idee und Ursache der sichtbaren missionarischen Bewegung ist. Ohne Mission keine Bewegung. Die Mission gibt der Bewegung in díe Welt ihre gestaltende Form. Von daher bietet es sich an, missio und motus zusammenzudenken. In der Kunst meint forma fluens eine sich überschneidende Sammlung von Zeichnungen/Motiven. Übertragen auf die Missionsbewegung könnte das bedeutetn, dass sich Gottes Mission und das missionarische Handeln der Menschen überlappen und ein gemeinsames Kunstbild ergeben. Im Bereich des Sports und der Fitness hat sich das Schlagwort der movement culture etabliert. Gemeint ist, dass das komplette Bewegungspotenzial eines Menschen für seine Fitness genutzt wird. Übertragen auf die Missionsbewegung bedeutet dies, dass alle Pontenziale, die sich aufgrund der o.g. globalen Veränderungen ergeben, genutzt werden, um die "Fitness unserer Gesellschaften", d.h. ihre integrale Transfromation im Sinne Gottes zu erreichen. Das Wortfeld "Mission" ist im biblischen Kontext begrifflich deutlicher abgebildet als das Wort "motus". Beide Begriffe atmen den biblischen Narrativ. Motus bildet, angewandt auf die trinitarische Konstellation die Relationalität von Vater, Sohn und Geist als pericorese (Rundtanz, tanzende Bewegung) ab, während Mission eher die zielgerichtete Sendung von Vater, Sohn und Geist in der Heilsgeschichte beschreibt. Dabei macht sich die Sendung die Potenziale einer Bewegung zunutze.
- Bewegung und Dynamik gehören zu Gottes DNA. Er ist nicht statisch, nicht deistisch, ein Gott also, der Initiativen startet und sich dann in die Bewegungslosigkeit zurückzieht und sich nicht mehr blicken lässt (Urmachergott). Gott ist auch nicht Produkt eines noetischen Gottesbeweises, wie bei Thomas von Aquin, wo Gott notwendigerweise als erster Beweger gedacht werden muss, damit man sich Bewegung überhaupt vorstellen kann und das Weltgeschehen ins Rollen kommt. .
- Gott bewegt sich selber (subjektiv) und setzt andere in Bewegung (objektiv). Gott sucht, Gott spricht. Sein Wort "geschieht und kommt nicht leer zurück". Donner und Blitz gehören ebenso zu seinem nonverbalen Reperetoire, wie die tiefsten Emotionen, die Menschen in Bewegung versetzen.
- Gott ist von seinem Wesen her missionarisch, also missional. Sendung beschreibt auf zentrale Art und Weise die zielgerichtete Dynamik der Bewegung.
- Gott setzt in Bewegung, indem er beauftragt. Baue ein Schiff (Noah), verlasse Haus und Hof (Abraham), gehe nach Ägypten (Mose und Aaron), gehe in die Stadt und rede (Propheten), macht zu Jünger alle Völker indem ihr geht (wir). Bewegung ohne Auftrag klingt leer. Bewegung impliziert nicht automatisch Orientierung, der konkrete Sendung und Auftrag schon.
- Magischer Moment: Wir machen uns bewusst, dass Jesus jeden seiner Nachfolger bewegt und für seine Mission in der Welt gebrauchen kann. Es ist ein magischer Moment, das zu verstehen.
- Orientierung finden: Wir leben ein zielgerichtetes Leben. Wir entdecken unsere Sehnsucht und fragen nach der konkreten Platzanweisung in der Bewegung Gottes in der Welt. Dabei orientieren wir uns an der "missionalen Bewegung Gottes" (s.o.). Wir empfangen unseren Auftrag und konkretisieren unsere Mission.
- Mit allem, was wir sind: Wir begreifen, dass wir mit unserem ganzen Leben der Mission Gottes in der Welt dienen können. Dafür benötigen wir einen erweckten Geist der Verantwortung für die Welt.
- Unsere Geschichte: Wir lernen authentisch und wahrhaftig zu sein. Wir erzählen Gottes Geschichte und seine Geschichte mit uns, teilen unsere Erfahrungen und tragen das zur Bewegung bei, was uns anvertraut und gegeben ist.
- Mit Leidenschaft dabei: Wir lassen uns von Gott Leidenschaft und einen Geist der Hingabe schenken. Wir setzen uns in Bewegung und bleiben es.
- Aufmerksam sein: Im Vollzug der Bewegung sind wir wachsam und achten auf die konkreten Herausforderungen und Bedürfnisse im Kontext unserer Sendung.
- Grenzen überwinden: Wir sind bereit, flexibel Grenzen zu überwinden, weil uns die grenzenlose Liebe Gottes zu den Menschen sendet.
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