Mission - aus der Zeit gefallen | 5. Der methodische Umgang mit der Kritik


 

Teil 5: Mission - der methodische Umgang mit der Kritik

Methodischer Ausgangspunkt:
Obwohl Selbstkritik und die Auseinandersetzung mit Kritik von außen notwendig ist, habe ich dennoch Anfragen an die Methodik.

1. Die Kritik ist zu eurozentristisch. Was denken Asiaten und Afrikaner? Würden sie die Begriffe Mission, missionarisch und Missionar abschaffen? Ulrich van der Heyden (Prof. für Missions- und Kolonialgeschichte in Berlin) sagt: „Ich beschäftige mich seit drei Jahrzehnten mit Missions- und Kolonialgeschichte. Es ist für mich eine Freude, dass das Thema in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Aber ich fordere mehr Sachlichkeit in der Debatte. Unser Blick ist zu eurozentrisch. Wichtig ist doch zu hören, was die Menschen sagen, dort, wo Missionare tätig waren oder tätig sind“. Aus meiner Erfahrung und aus durchgeführten Umfragen aus Mali weiß ich, dass gerade die Malier, die noch die erste Generation amerikanischer Missionare kannte, eine sehr ausgewogene Kritik geäußert haben. Es wurden einerseits Mentalität, manche Strategien und Überheblichkeit hinterfragt, doch grundsätzlich wurde der Einsatz und die nachhaltige Frucht der Arbeit in Form von malischen Christen, Pastoren und einem Netz von Gemeinden positiv hervorgehoben. In Europa tätige Entscheidungsträger sind der Überzeugung, "dass zumindest aus deutscher und ggf. europäischer Sicht hier ein Umbruch stattfindet und wir uns auf die Suche nach neuen Begriffen und Narrativen machen müssen". Es mag diesen Umbruch und entsprechende Überlegungen geben, doch ohne eine Einordnung in den globalen Kontext der Weltmission wäre es ein absurder Sonderweg. Mein malischer Kollege an der FATMES (Fachschule für ev. Theologie und Missionswissenschaft) in Bamako sagte: "Europäer haben sicherlich das Recht, in ihrem Kontext kritisch über die ihrer Meinung nach historisch belastete Terminologie nachzudenken und sie zu modifizieren. Doch sie sollten nicht den Fehler machen, ihre Debatte und die sich herauskristallisierenden Standpunkte zu universalisieren und dem Rest der Welt aufzudrängen."

2. Die Kritik ist zu punktuell und zentralistisch. Wenn die Kritik an Theorie und Praxis der Mission geäußert bzw. reflektiert wird, dann geschieht das meist an zentralen Konferenzorten oder in den Chefetagen der Missionsorganisationen, oder es wird die Meinung bestimmter Gruppen hervorgehoben (junge Generation, säkulare Kritiker o.a.). Die Debatte darf nicht zu einer Generationenfrage werden nach dem Motto - die Alten sind mit den klassischen Begriffen aufgewachsen und "von gestern", da wir uns jedoch für die Zukunft aufstellen wollen, richten wir uns nach der jungen Generation. Es wäre wünschenswert, alle betroffenen Gruppen in die formellen und informellen Überlegungen einzubeziehen. Der Gebrauch der Begriffe "Mission und Missionar"ist keine Frage des wordings, das man verordnen könnte, nachdem Gremien und Menschen in der Öffentlichkeitsarbeit darüber befunden haben. Wichtig wäre auch, eine Priorisierung der Stimmen vorzunehmen. Folgende Reihenfolge stelle ich mir vor von 1 bis 7 :

1 nichtchristliche Kritiker (z.B. Historiker und Historikerinnen, Kulturwissenschaftler)
2 Mitglieder, Pastoren und Pastorinnen und Leiterpersonen der unterstützenden und sendenden Gemeinden (generationenübergreifend)
3 interkulturelle Partner, mit denen Missionare in den Arbeitsgebieten zusammenarbeiten (Pastoren, Leiter, Hilfsorganisationen)
4 Theologen und Theologinnen an Ausbildungsstätten und Akademien (Missionswissenschaftler, Linguisten)
5 die Gremien der Missionsorganisationen
6 nichtwestliche Missionarinnen und Missionare, die ihrerseits als Gemeindegründer und Evangelisten im Ausland unterwegs sind
7 Missionarinnen und Missionare aus dem Westen

Da es um mehr geht als um Sprachgefühl, Modernität und Verständlichkeit, sondern auch um theologische Konzeption und um Selbstverständnis (Identität), müssen individuelle Positionierungen ihren Platz behalten. Es ist keine Frage, die man wie einen Slogan oder Arbeitsschwerpunkte behandelt.

3. Die Kritik ist zu begriffskonzentriert. In meiner langen Tätigkeit als Missionar im westafrikanischen Mali und in der Beschäftigung mit der theologiegeschichtlichen Auseinandersetzung habe ich festgestellt, dass es unseren Kollegen, Partnern und Freunden in der missionarischen Arbeit nicht so sehr auf Begriffe ankommt. Es kommt vielmehr darauf an, wie wir die Zusammenarbeit vor Ort gestalten und wie wir uns als Menschen einander begegnen. Manchen Maliern dienen Missionare sogar als geistliches Vorbild, nicht weil sie sich Missionare nennen, sondern weil sie glaubwürdig leben und einen wertschätzenden, respektvollen Umgang an den Tag legen. Begriffe zu eliminieren, oder durch andere zu ersetzen, das mag man je nach kontextueller Herausforderung durchdenken. Wenn ich von meinem langjährigen Pastorenkollege vorgestellt werde, dann präsentiert er mich als Kollege, Mitarbeiter, Partner, Freund, und er nennt meinen Namen, oder auch meine beruflichen und akademischen Titel wie Missionar, Pastor oder Doktor. Bei allen Bezeichnungen soll nicht in erster Linie ein Status begrifflich dargestellt werden. Es soll vielmehr deutlich werden, dass hier auf verschiedenen Ebenen eine Beziehung gewachsen ist. Es kommt weniger auf die Begriffe als auf die konzeptionellen Inhalte und das praktische Verhalten an. Während der Edinburgher Missionskonferenz im Jahre 1910 sagte V.S. Azariah aus Indien: „You have given your goods to feed the poor. You have given your bodies to be burned. We ask for love. Give us friends. (Ihr habt eure Güter gegeben, um die Armen zu ernähren. Ihr habt eure Körper der Verbrennung preisgegeben. Wir bitten um Liebe. Gebt uns Freunde.)“ In Whitby wurde 1947 auf der Weltmissionskonferenz der Slogan „Partnerschaft in Gehorsam“ geprägt. Es war eine Antwort auf die dominierende patriarchalische Mentalität westlicher Missionare. Der zunehmende Verfall der Kolonialreiche nach dem 2. Weltkrieg und die Säkularisierung westlicher Kulturen machte eine neue strategische Ausrichtung notwendig. Weltmission kann nur im Geist der Partnerschaft gelingen. Ein indonesischer Pastor antwortete darauf: „Partnerschaft für euch und Gehorsam für uns“. Er war misstrauisch. Er glaubte aufgrund der Erfahrungen in der Vergangenheit nicht daran, dass neue Begriffe eine neue Mentalität schaffen und zu einem verändernden Verhalten führen würden. Westliche Akteure müssen durch ihr Verhalten unter Beweis stellen, dass sie vertrauenswürdige Partner sind.

4. Die Kritik ist nicht differenziert genug
. M.E. muss bei der Auseinandersetzung und Einordnung der Kritikpunkte zwischen einer theologisch-konzeptionellen und einer handlungsorientiert-pragmatischen Ebene unterschieden werden. So ist es ein Unterschied, ob ich den Begriff „Mission“ als theologisches Grundkonzept oder als kirchliche Praxis kritisiere. Es gilt zwischen dem Begriff „Missionar“ als Amt, als Ausdruck geistlicher Berufung und einer reinen Berufsbezeichnung zu unterscheiden. Was gewinnen, was verlieren wir, wenn sich die angestellten Außendienstmitarbeiter von Missionsgesellschaften jetzt nur noch mit ihrem gelernten Beruf vorstellen und identifizieren? Muss und kann nicht beides zusammengedacht und je nach Kontext dann auch so formuliert werden? Oder philosophisch formuliert: Sage ich, wer ich bin, oder sage ich nur, was ich tue? Wenn der Begriff "Mission" gestrichen und durch andere Konzepte wie Partnerschaft, Förderung, interkulturelle Begegnung usw. ersetzt wird, dann stellt sich die Frage nach der inhaltlichen Entsprechung im Verhältnis zur missio Dei. Dies gilt genauso für die „interkulturellen bzw. internationalen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ als Ersatzbegriff für „Missionarinnen und Missionare“. Da Begriffe nicht nur Schall und Rauch sind, sondern einen ideellen bzw. materiellen Sachverhalt spiegeln, gilt es sich einer gründlichen Reflexion zu stellen. Geht es um ein neues konzeptionelles Verständnis oder lediglich um begriffliche Umgestaltung? Vorausgesetzt, dass „Mission“ nach wie vor als ein biblisch-theologisches Konzept anerkannt bleibt, ist es dann legitim, „Mission“ als Begriff zu streichen und trotzdem am ideellen Konzept der Mission festzuhalten?

5. Die Kritik erfordert Standhaftigkeit und Ehrlichkeit. Seit längerem schon hätte, im Namen von Ehrlichkeit und Kapitalismuskritik, die Berufskategorie der Börsianer ausgemerzt werden müssen. Ihrem subtilen von Geldgier getriebenen Handeln sind schon ganze Existenzen zum Opfer gefallen. Im Namen eines hehren Neoliberalismus handeln sie Aktien und bereichern sich an Kursschwankungen, wissend, dass auf der anderen Seite jemand vom Hocker fällt. Die Halunken unter ihnen nehmen Pleiten und Crashs in Kauf. Sie nennen ihren Arbeitsplatz vornehm Parkett, doch sie spekulieren was das Zeug hält, und benehmen sich wie Haie im Karpfenteich. Es gibt sie immer noch, die Börsianer, auch, weil noch genügend ehrliche Makler die Reputation der Branche hochhalten und es noch genügend Leute gibt, die denken, dass Geld nicht stinkt. In den vergangenen Jahren haben die Missbrauchsskandale in den Kirchen zu einer heftigen Kritik an kirchlichen Machstrukturen geführt. Auch der Beruf des Priesters, Pfarrers oder Pastors und der Status der Kardinäle und Bischöfe hat darunter erheblich gelitten. Die glaubwürdige Auseinandersetzung mit den Skandalen seitens der Kirchen läuft schleppend. Die Kritik geht an die Substanz. Menschen kehren den Kirchen den Rücken und treten aus. Mitglieder lutherischer Kirchengemeinden nennen sich "Lutheraner", sind stolz, auf den Spuren des großen Reformators gehen zu können, wissend, dass er sich antisemitisch geäußert hat und in der Zeit der Bauernkriege falsche Entscheidungen getroffen hat, die Tausenden das Leben gekostet haben. Mit der Unterstützung Johannes Calvins wurden Häretiker, Sektierer, Mitglieder der Täuferbewegung verbannt oder inhaftiert. Michael Servetus, ein Leugner der Trinitätslehre, wurde vom calvinistischen Genfer Stadtrat im Jahre 1553 zum Tod verurteilt. Die reformierten Buren begründeten den "Großen Treck" in Südafrika, die Unterwerfung der schwarzen Bevölkerung und später die Apartheid mit einer dezidiert calvinistischen Theologie. Trotz all der Fehlentwicklungen gibt es heute immer noch Reformierte und Calvinisten und Lutheraner unter den Kirchenmitgliedern und Theologen. In der Zeit des Nationalsozialismus haben Pfarrer Antisemitismus propagiert und das Regime Hitlers unterstützt. Die genannten Tatsachen führen jedoch nicht dazu, dass Begriffe wie „Kirche“ oder die vielfältigen Ämter der Kirche, das Priesteramt, das Diakonenamt oder die Berufsbezeichnung Pfarrer an sich in Frage gestellt werden. - Wenn es berechtigte Kritik am Verhalten von an der Weltmission beteiligten Organisationen und Personen gibt, dann müssen sich die Beteiligten der Kritik stellen und mit ihr leben lernen.  

Der berechtigten Kritik, dem Unverständnis und der Unverständlichkeit begegnen wir nicht, indem wir uns schamvoll von Begriffen abwenden und sie austauschen, sondern indem wir sie erklären, verständlich machen und verdeutlichen, was wir aus der Kritik gelernt haben. 

Wenn Europäer nach Afrika kommen, ob sie sich nun Missionare nennen oder, auf diesen kritischen Titel verzichtend, lediglich ihren Beruf anführen wie Lehrer/Lehrerin, Arzt/Ärztin, Pastor usw. wird dies an ihrer kontextuellen Rezeption nichts ändern. Das „Bild vom kirchlichen Mitarbeiter mit weißer Hautfarbe“ ist vorgeprägt, fast zu einer DNA geworden. Es lässt sich nicht mit Begriffsmutationen übermalen.

Fortsetzung:
Teil 6.  Mission - aus der Zeit gefallen | 6. Die Gegenargumente: https://alfredmeier.blogspot.com/2023/05/mission-die-gegenargumente.html

Ich greife die wichtigsten Gegenargument der Kritiker zum Gebrauch des Wortfeldes "Mission" auf und beziehe Stellung zur geäußerten Fundamentalkritik an der Mission.

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