Mission - aus der Zeit gefallen | 4. Wir sind fähig zur Selbstkritik

 

Teil 4: Mission - Wir sind fähig zur Selbstkritik

Zur Selbstkritik christlicher Akteure am imperial kolonialistischen Vorgehen von Kirche und christlichen Nationen anhand ausgewählter Beispiele aus der Zeit zwischen dem 8. und 20. Jahrhudnert

Die Kritik an der christlichen Mission ist nicht neu. Bevor postmoderne Wortjongleure, um den Ruf der weltmissionarischen Bewegung Besorgte und aufgeklärte Toleranzverfechter auf den Plan traten, waren es die Missionare selbst, die sich selbstkritisch mit bestimmten Mentalitäten und Aktionen auseinandersetzten, die im Namen ihrer Kirchen und ihres Glaubens geschahen. Im global ökumenischen Kontext gibt es schon seit Jahrzehnten eine konstruktiv kritische Auseinandersetzung mit der Problematik. 

Ein kurzer selektiver Einblick belegt die Fähigkeit zur Selbstkritik:

a. Karolingische Zeit 
Die Selbstkritik christlicher Akteure, die in das imperial kolonialistischen Vorgehen der offiziellen Kirche bzw. der christlichen Staatsoberhäupter involviert waren, gab es schon im Mittelalter zur Zeit Karls des Großen, wo Zwangstaufen als Belege für militärische Siege zelebriert wurden. Karls theologischer Berater Alkuin, seit 782 am Hof tätig, kritisierte ihn und hätte sich gewünscht, dass „man dem Volk das leichte Joch Christi und seine süße Last mit derselben Wärme gepredigt hätte, mit der man die Zahlung des Zehnten verlangte und die kleinsten Vergehen bestrafte, (dann) hätte es sich vielleicht nicht vor dem Taufeid gedrückt. ( ... ). Den damals üblichen Begriff Apostel gab man trotz der gewaltsamen Zwangsmissionierung nicht auf. Das urchristliche Apostolat blieb unumstößlicher Bezugspunkt der mittelalterlichen Missionstätigkeit.

b. Die Zeit der Kreuzzüge
Auch in der Zeit der Kreuzzüge haben sich orientaffine, dialogbereite Theologen und Ordensleute gegen die machtbesessenen und eroberungsfreudigen christlichen Kreuzzugsarmeen und deren königliche Oberbefehlshaber gestellt. 

Unvergessen bleibt die Reise des Franz von Assisi (1181-1226) nach Ägypten. Er hatte sich einem Kreuzzugsheer angeschlossen und ist 1219 von Sultan Malik al-Kami in der Hafenstadt Damiette empfangen worden. Dieses Treffen ist sowohl von christlicher als auch von muslimischer Seite belegt. Über die Motive seiner Reise kann spekuliert werden. Reine Neugierde kommt wohl kaum in Frage. Es war wohl eher eine Kombination von mönchischem Gehorsam, Suche nach Christusnähe in der Fremde (peregrinatio pro christo) und einem gewissen missionarischen Eifer. Allein die Tatsache, dass ein Mönch es wagt, ohne Waffen in einer von Krieg strotzenden Umgebung unterwegs zu sein, in der bewussten Absicht, einen muslimischen Herrscher zu treffen, enthält ein nonverbales kritisches Momentum, das dem damaligen Zeitgeist einer machtvollen, sich auf Gewalt stützende Einheit von Staat und Kirche widersprach. Franz von Assisi hielt den Koran für eine antichristliche Schrift, bevorzugte aber den Dialog als Form der Begegnung.

Ramon Llull (1232-1316) setzte sich für mehr Dialog bei der Verkündigung der christlichen Botschaft ein. Sein Vorgänger im Amt, Raimund von Penyafort, hatte zwar die arabische Sprache gefördert, trat aber gleichzeitig für die Inquisition gegenüber Andersgläubigen ein und zwang Juden und Muslime, an christlichen Gottesdiensten teilzunehmen. 1276 gründete Ramon Llull im Kloster Miramar in Valldemossa eine Missionsschule. Um die dialogische Kompetenz zu fördern, sprach er sich für die Schaffung eines Lehrstuhls für Orientalistik an europäischen Universitäten aus. Llull verfolgte den Plan, "die Völker der Welt zu vereinigen und für die Wahrheit des christlichen Glaubens zu gewinnen. Im Gegensatz zu anderen Missionaren aber wollte er sein Anliegen nicht durch Gewalt,  sondern durch  ausgearbeitete  Dialogtechniken erreichen.  Sein Ziel war es, sowohl Juden als auch Muslime über die Dogmen der Trinität und der Inkarnation durch das Verfassen eines Buches, einer besonderen Ars inveniendi veritatem (Kunst der Wahrheitsvermittlung) zu unterweisen und damit die Form der Missionierung zu verändern." (Francesca Vidal). 1314 brach er zu einer Reise nach Tunis auf – als Diplomat im Auftrag von Jakob II. Dort betätigte er sich als Schriftsteller und Evangelist. Auf seiner Rückreise wurde er von Muslimen gesteinigt. Seine Zeitgenossen quittierten dies mit den lapidaren Worten: „Er überschätzte wohl die Macht der Argumentation“. 

c. Die Epoche der Iberischen Mission
Es gab Kritik an der Zwangsmissionierung im 16. Jahrhundert, als christliches Fachpersonal mit Hilfe der Konquistadoren massenweise Menschen zwangstaufte und die Übermacht europäischer Zivilisation demonstrierte. Diese Kritik kam nicht von außen. Sie kam von innen, von den in diesen Zeiten lebenden und teilweise beteiligten Personen, also aus kirchlichen Kreisen selbst. 
Im 16. Jahrhundert wurde die Institution der sog. „Encomienda“ kritisiert. Auf den großen Farmen in den lateinamerikanischen Kolonien hatten "Indios" das Recht auf freie Versorgung und Unterweisung in der christlichen Lehre. Auf der anderen Seite wurden sie zu harter Arbeit verpflichtet. Gegen diesen Missbrauch wandte sich der Dominikaner Antón de Montesinos (ca. 1480–1540) mit den Worten: „Sagt, mit welchem Recht und mit welcher Gerechtigkeit haltet ihr diese Indios in so grausamer und entsetzlicher Knechtschaft? … Sind dies denn keine Menschen?“ Daraufhin wurden vom spanischen König „Neue Gesetze" (Leyes de Burgos, 1513) zum Schutz der "Indios" erlassen.
Bartolomé de las Casas (1474–1566) verfasste zahlreiche kolonialkritische Schriften. Seine Kritik, obwohl von der Kirche unterdrückt, hat sich nachhaltig im Bewusstsein etabliert, sowohl im Westen als auch in Lateinamerika. Aus historischer, anthropologischer und theologischer  Perspektive deckte er die Widersprüche im Vorgehen der Eroberer und seiner militanten Kollegen auf. Er führte sogar den Begriff der "Menschenrechte" (derechos humanos) ein. Francisco de Vitoria (1483–1546) hinterfragte die Rechtmäßigkeit der Europäer, in der sog. „Neuen Welt“ Kolonien zu errichten. Es seien die Einheimischen, die alleine legitime Herrschafts- und Eigentumsrechte ausüben dürfen. Er setzte sich für freizügige Reisen, auch Missionsreisen, ohne Unterdrückungsabsichten ein. Der Jesuit José de Acosta (1540–1600) wandte sich in einem Missionshandbuch (De procuranda indorum salute, verfasst 1588) gegen die enge Verschmelzung von Kolonialismus und Mission und deckte so den moralischen Widerspruch der europäischen christlichen Tyrannen auf.

Allen Kritikern aus dieser Zeit ist gemeinsam, dass sie von der Überlegenheit des christlichen Glaubens und der "Barbarei" nichtchristlicher Religionen überzeugt waren, jedoch die auf Macht und Gewalt basierenden Methoden ablehnten. Das koloniale System sollte verändert werden. Dazu unternahm man erhebliche Bemühungen, um aus juristischer, philosophischer, theologischer, moralethischer sowie praktischer Sicht Argumente zusammenzutragen. Ihre Gedanken waren neben der Bibel von der Renaissance und dem aufkommenden "humanistischen Zeitgeist" beeinflusst. Leider setzten sich die Kritiker nicht durch. Bei allem sollte jedoch die dem Evangelium innewohnende Logik der Verbreitung des christlichen Glaubens nicht unterlaufen werden. 

d. Die Zeit der holländisch-englischen Kolonialepoche und des westlichen Imperialismus (16.-20. Jahrundert)
In der Epoche der holländisch-englischen Kolonialisierung ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts knüpften die nichtkatholischen Missionsbewegungen zunächst an das Patronatsmodell der katholischen Kirche an. Doch das änderte sich. In den ersten Kolonien der Dänen, Engländer und Niederländer waren Missionare nicht willkommen. Die Kolonialbeamten kritisierten die Missionare. Sie galten als Störenfriede, die die wirtschaftlichen Interessen der Kolonialisten unterliefen. Kolonialismus und Mission waren keine Partner. Je mehr sich Missionare allerdings als Kultur- und Landeskenner erwiesen, umso mehr wurden sie instrumentalisiert. Langsam etablierte sich die Auffassung, dass die Kolonialherrschaft der Heimatländer besser sei, als die lokalen Strukturen. Also kooperierte man im Bereich der Bildung und dem Aufbau von medizinischer Infrastruktur und in der Landwirtschaft. Missionare galten als Vorhut oder Nachhut  der Kolonialadministration. Der deutsche Reichskanzler von Caprivi erklärte 1890: "Wir müssen zunächst einzelne Stationen im Inneren schaffen, von denen aus der Missionar so gut wie der Händler wirken können und die Flinte und die Bibel müssen hier miteinander wirken". (bei Bosch). Kirchenmitgliedschaft der einheimischen Bevölkerung galt in den Kolonien als willkommene Entwicklung, da man so besseren Einfluss im Sinne der "neuen Nation" ausüben konnte.

Viele Missionare im 19. Jahrhundert vertraten mit ihren Diskursen und Aktionen sehr stark das nationale Interesse und die Werte ihrer Heimatländer - für das britische Empire, die französische Grande Nation oder für das Deutsche Reich zur Förderung von Kolonialisierung, Christentum, Kommerz und Zivilisation.
Missionare haben eine direkte Schuld, insofern sie Zeugen der Gräueltaten wurden, oder eine indirekte Schuld, indem sie schwiegen, oder sich als Kollaborateure im Hintergrund erwiesen. Aus diesem Grund ist es verständlich, dass Menschen sich nicht mehr Missionarin oder Missionar nennen wollen.
 
Friedrich Fabri (1824-1891), Rektor der Rheinischen Missionsgesellschaft, galt im Vorfeld der Berliner Konferenz 1884/85 als Wegbereiter des deutschen Kolonialismus. Das Motto "Deutsche Missionare für deutsche Kolonien" machte die Runde.

Doch bald meldete sich Protest. Ludwig Harms, Gründer der Hermannsburger Mission, sprach sich gegen Gewalt aus und verteidigte die afrikanische Bevölkerung gegen das Vorgehen der Buren in Natal und Transvaal (Südafrika). Er plädierte für die Bildung einer lutherischen Kirche, wo Schwarze und Weiße gleichermaßen Mitglied sein konnten. Das Vorhaben scheiterte. Der latente Rassismus prägte den Geist der Missionare. Auf der Kontinentalen Missionskonferenz in Bremen distanzierte man sich von der Strategie Fabris. Mission und Kolonialismus seien voneinander entfernt wie Himmel und Erde, hieß es. Nach dem Hereroaufstand in Namibia (1904) klagten Missionare das Deutsche Reich an, während die Missionare in der deutschen Öffentlichkeit als Kollaborateure der "wilden Afrikaner und dem schwarzen Ungeziefer" gehandelt wurden. Missionare plädierten für mehr Gerechtigkeit in der Wirtschaft und in den Arbeitsverhältnissen. Ähnliche Kritik übten auch amerikanische Missionare auf den Philippinen. Protest ja - aber keine Revolution gegen das System an sich.

Mitten in der Kolonialzeit, noch vor dem 1. Weltkrieg, reiste Bruno Gutmann (1876-1966) im Auftrag der Leipziger Mission zu den Dschagga, am Fuße des Kilimandscharo, im heutigen Tansania. Auch er hat von der kolonialen Öffnung Ostafrikas seit 1885 profitiert. Er gilt bis heute als der "Altvater" der Volksgruppe der Dschagga, weil er gegen den damaligen Zeitgeist, die "urtümlichen Bindungen", die Geschichten des Volkes, die Chronik ihrer local chiefs, ihre Sozialstrukturen und Rechtssprechung dokumentiert und den christlichen Glauben übermittelt hat. Dies geschah in einer Zeit, wo die afrikanische Kultur als primitiv und rückständig galt und durch deutsche Zivilisation ersetzt werden sollte. Dieser Respekt gegenüber dem "Völkischen" brachte ihm unter nichtdeutschen Theologen Kritik ein (vgl. Johannes Christiaan Hoekendij, Kerk en Volk in de Duitse Zendingswetenschap. Utrecht, 1948). In Tansania wird Gutmann bis heute verehrt, obwohl jeder dort weiß, dass Gutmann aus dem Deutschen Reich kam. Die Deutschen haben während ihrer Kolonialherrschaft in Ostafrika 300.000 Menschen zu Tode gebracht. Gutmann hat durch sein Wirken einen großen Beitrag zur ethnologischen Forschung und zu einem differenzierten Afrikabild beigetragen. Es gibt also auch Geschichten von Missionaren, die ganz real vorbildlich waren und für die man sich trotz der Beeinflussung durch den europäischen Zeitgeist nicht schämen muss - ganz im Gegenteil.

e. Zwischenfazit und Einordnung:
Missionarinnen und Missionare zweifelten in der Regel nicht an der Legitimität des Kolonialismus, setzten sich jedoch zunehmend dafür ein, die manipulativen, gewaltsamen und diskriminierenden Spitzen zu eliminieren.
Missionarinnen und Missionare könnten, was ihre Rolle in der Zeit des Kolonialismus angeht, folgenden Kategorien zugeordnet werden:
  • direkte Förderer des Kolonialismus (als strategische Vorhut, Verhandler von Schutzverträgen und Diplomaten der Heimatländer,)
  • indirekte Förderer des Kolonialismus (z.B. Verbreitung westlicher Zivilisation in Schulen aus der Position der Überlegenheit; Instrumentalisierung durch die Kolonialadministration)
  • Profiteure des Kolonialismus (Evangelisten und Gemeindegründer, diakonisch tätige Missionare, die nicht an Politik und zivilisatorischen Strategien interessiert waren und als Opportunisten von der kolonialistischen Öffnung profitiert haben)
  • Kritiker des Kolonialismus (Missionarinnen und Missionare, die durch Worte, kritische Schriften und konkrete Taten offen Kritik geübt und sich aktiv für die einheimische Bevölkerung eingesetzt haben)

Es wäre die Aufgabe der Missionsgesellschaften, zu den wie auch immer gearteten Implikationen in die Kolonialgeschichte und andere dunkle Kapitel der Historie Stellung zu beziehen. Das wäre der Respekt, den wir unserer Geschichte gegenüber schuldig sind, um den Respekt als Missionsbewegung zu bewahren.  

Auch die Allianz-Mission hätte an dieser Stelle etwas aufzuarbeiten. Die ersten Missionare der Allianz-Mission in China, die unter der strategischen Leitung der von Hudson Taylor gegründeten China-Inland-Mission arbeiteten, waren Profiteure des Kolonialismus. Die damaligen Missionare waren zu unbedeutend, als dass sie die politischen Entwicklungen aktiv hätten beeinflussen können. Die Euphorie war zu groß, als dass sie bereit waren, sich dem kolonialistischen Bestreben westlicher Länder entgegenzustellen. China war bis weit ins 19. Jahrhundert hinein eine große Wirtschaftsmacht. China diktierte die Regeln und europäische Händler wurden mit Restriktionen belegt. Der Handel beschränkte sich auf die Küstenregionen. Der Opiumkrieg (1839-1842) brachte die Wende. Großbritannien zwang China in die Knie und diktierte von nun an das Geschehen im Reich der Mitte. Die Märkte im Inneren des Landes wurden geöffnet und das Tributsystem abgeschafft. Die Wirtschaftsinteressen der westlichen Kolonialmächte setzen sich durch. Damit wurde auch der Weg für westliche Missioniare ins Innere frei. China-Inland-Mission und Allianz-Mission haben davon profitiert. Der "kolonialistische Background" kann nicht geleugnet und durch den sicherlich aufopferungsvollen Dienst der Missionarinnen und Missionare gegengerechnet werden.

Die ausgewählten Anekdoten aus der Missionsgeschichte belegen, dass Missionare die innere Kraft besaßen, Selbstkritik zu üben und dass da wo möglich, alternative Wege beschritten wurden, ohne dabei „Mission“ als Begriff und Konzept ad acta zu legen. Wenn Missionare verstrickt waren in die Ungerechtigkeit des Kolonialsystems, dann mussten sie als Missionare Stellung beziehen und sich durch Selbstkritik und Protest emanzipieren. Und doch muss auch diese Bemerkung aus christlicher Perspektive erlaubt sein. Gott ist souverän. Er bekommt es hin, selbst in der dunklen Epoche der von Unrecht und westlicher Dominanz triefenden Zeit, Lichter anzuzünden und Positives zu bewirken. Es verbietet sich jedoch, daraus irgendeine Form der Rechtfertigung menschlicherseits abzuleiten.

Ich halte auch deshalb an den Begriffen "Mision und Missionar" fest, weil sie mich zwingen, mich mit der ambivalenten Geschichte der Missionsbewegung auseinanderzusetzen und Verantwortung zu übernehmen. Dieses Argument mag zugegebenermaßen für viele nicht an geschichtlichen Entwicklungen interessierte Zeitgenossen kein überzeugendes Argument sein. Unsere Kollegen aus dem sog. "Globalen Süden" - aus Asien, Lateinamerika und Afrika wissen um den kolonialen Schatten. Sie wissen auch, wer es gut mit ihnen meinte und wer nicht.

f. Die Zeit der ökumenischen Selbstreflexion
In der ökumenischen Epoche haben Delegierte und Theologen sich kritisch mit der kolonialen Vergangenheit auseinandergesetzt, mit Diskriminierung und Rassismus, mit westlicher Dominanz in strategischen und finanziellen Fragen. Gemeinsam hat man gerungen um Gleichberechtigung, um Vertrauen, um Teilhaberschaft und Partnerschaft auf Augenhöhe sowie um Respekt, wenn es um weltmissionarische Verantwortung und Strategien geht. Leslie Newbigin prägte 1958 den Satz: "The homebase of mission is everywhere" (Die Heimatbasis der Mission ist überall). Dies führte zu einer Aufwertung missionsstrategischer Initiativen außerhalb des Westens. Bereits 1963, während der Weltmissionskonferenz in Mexiko City, geriet die Notwendigkeit einer mission in reverse oder multidirektionalen Mission angesichts eines zunehmend säkularisierten Westens in den Blick. Das Motto lautete "Mission in sechs Kontinenten ".  Die ganze Welt benötigt das Evangelium, und Mission geschieht von somewhere to everywhere. Bei all den kritischen Debatten ist der Begriff "Mission" nie aufgegeben worden. Auch während der Moratoriumsdebatte Anfang der 1970er Jahre wurde starke Kritik am Verhalten der westlichen Missionare laut. John Gatu, Generalsekretär der Presbyterianischen Kirche in Ostafrika, sagte, dass das anhaltende Gefühl der Abhängigkeit von und der Beherrschung durch ausländische kirchliche Gruppen viele Kirchen in Asien, Afrika und Lateinamerika daran hindere, sich als Antwort auf Gottes Mission zu entwickeln. ". . . [Unsere] gegenwärtigen Probleme", erklärte er, "können nur gelöst werden, wenn alle Missionare abgezogen werden können, um beiden Seiten einen Zeitraum von nicht weniger als fünf Jahren zu geben, in dem sie ihre künftigen Beziehungen überdenken und formulieren können. . . . Die Kirchen der Dritten Welt müssen die Möglichkeit haben, ihre eigene Identität zu finden, und die Fortsetzung der gegenwärtigen Missionsbewegung ist ein Hindernis für dieses Selbstverständnis der Kirche." Im gleichen Jahr sagte Emerito P. Nacpil, Präsident des Union Theological Seminary in der Nähe von Manila (Philippinen), dass die fortgesetzte Abhängigkeit der Schwachen von den Starken nicht fortgesetzt werden dürfe. "Der Missionar sei heute ein Symbol für die Universalität des westlichen Imperialismus unter den aufstrebenden Generationen der Dritten Welt". Er erklärte die Struktur der modernen Missionsbewegung für tot. "Der größte missionarische Dienst, den ein Missionar unter dem gegenwärtigen System heute in Asien leisten kann, ist, nach Hause zu gehen". "Missionary go home!", lautete die Aufforderung und nicht: "Change your terms!" Pater Paul Verghese, ehemaliger stellvertretender Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen und  Rektor eines orthodoxen theologischen Seminars in Indien, verdeutlichte angesichts der wirtschaftskolonialistischen Attitüde westlicher Missionsgesellschaften in einem Statement: "Die Mission der Kirche ist der größte Feind des Evangeliums." Der eigentliche Grund für die verschiedenen Moratoriumsforderungen lag nicht in den Begriffen "Mission und Missionar", obwohl diese in ihrer westlichen Ausprägung stark kritisiert wurden. "Die ganze Debatte über das Moratorium ist auf unser Versagen zurückzuführen, in einer Weise miteinander umzugehen, die nicht entmenschlicht" und um die Mission Jesu Christi zu retten (ÖRK in Bangkok 1973).

Fazit: Die Kritik am bisherigen Konzept der Mission und dem Verhalten der Missionare hätte in den Jahren nach dem Krieg und seit der politischen Unabhängigkeitsbewegung in den 1960er Jahren kaum schärfer ausfallen können. Der Fokus der Reflexion bezog sich jedoch nicht auf die Begriffe "Mission" und "Missionar", sondern auf eine neue weltmissionarische Konzeption und auf das veränderte, geläuterte Verhalten der Missionare.

Für die Einführung und Aufrechterhaltung des Wortfeldes "Mission, Missionar, missionarisch usw." spricht die Situation im Laufe des 19. Jahrhunderts, in der verstärkt Missionsorden auf katholischer und Missionsgesellschaften auf evangelischer Seite gegründet wurden. In der Zeit nach der Reformation, während der lutherischen Orthodoxie, gab es Theologen, die die Aufgabe der Mission als erledigt ansahen. Vorreiter wie Justinian von Welz (1621-1668) u.a. stießen bei den Theologen und Kirchenfürsten auf heftigen Widerstand bei ihrem Vorhaben, eine Missionsgesellschaft zu gründen. Ähnlich ging es zunächst William Carey (1761-1834), der dann als "Vater der modernen Missionsbewegung" in die Geschichte eingegangen ist. Die Herrnhuter Missionsbewegung war schon seit 1732 in die Weltmission involviert, genoss aber in den offiziellen Kirchen wenig Anerkennung. Während die ev. Kirchen Europas und Amerikas sich noch weitgehend im weltmissionarischen Tiefschlaf befanden, feierten die Herrnhuter 1832 schon ihr 100-jähriges Missionsjubiläum. Im 19. Jahrhundert erfuhr die Missionsbewegung eine regelrechte Erweckung. Es kam zur Gründung von kirchlichen Missionsgesellschaften, aber auch zur Gründung von Missionsvereinen, die auf der Initiative von Einzelpersonen ruhten. Die Missionsgesellschaften haben oft gegen den Widerstand der Kirchen weltmissionarische Verantwortung übernommen, weil die Kirchen zu sehr mit sich selbst beschäftigt waren.

Der Begriff "Mission", in all seinen Varianten, verhalf mit dazu, das missionarische Bewusstsein zu wecken und wachzuhalten. Ohne die Missionare und Missionsgesellschaften, gerade in dieser expliziten Sprachform, wäre die Bewegung der Weltmission nicht denkbar gewesen und die Kirchen hätten nicht, meist bei sog. Missionsfesten, mobilisiert werden können. Und heute? Gäbe es keine Missionsgesellschaften, Missionsgottesdienste, keine Missionskonferenzen, keine Missionseinsätze im In- und Ausland, keine missionarischen Jugendorganisationen, keine Missionarinnen und Missionare, die mit Leidenschaft und Überzeugung über ihre Arbeit berichten, dann wäre es schlecht bestellt um das weltmissionarische Bewusstsein in den Gemeinden. Gerade weil Europa heute eine Minderheitenrolle innerhalb der weltweiten Christenheit einnimmt, wäre es umso bedeutsamer, am semantischen Feld der "Mission" festzuhalten und sich nicht mit verbalen Platzhaltern zufriedenzugeben, trotz der historischen Fehlentwicklungen, von denen schon die Rede war.

Fortsetzung:
Teil 5. Mission - aus der Zeit gefallen | 5. Der Umgang mit Kritik: https://alfredmeier.blogspot.com/2023/05/mission-der-umgang-mit-kritik.html

Ich beleuchte die methodischen Zugänge zum Umgang mit der geäußerten Kritik, die von Insidern und säkularen Kritikern geäußert wird.

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