Koloniale Geister besiegen - 7. Vom Neokolonialisums und den Hausaufgaben


Simon D. (AM): Alfred, Du beschreibst auch, dass es "heute noch die Gefahr des Neokolonialismus gibt, der sich unbewusst im Denken und in den Strategien verbirgt". Wo erlebst Du das z.B. in Mali?

Alfred: Neokolonialistisch wird es dann, wenn ich meine westliche Denkweise für fortschrittlicher erachte und sie anderen überstülpe, oder den Leuten in Mali ständig zu vermitteln versuche, was gut für sie ist, wenn also mein Denken, meine Strategie und meine Vorstellung von Struktur die Köpfe und Herzen der Menschen "besiedelt". Das betrifft z.B. wie sich das Land politisch zu orientieren hat, wie missionarisch vorgegangen werden soll und wo Geld und Mitarbeiter eingesetzt werden sollen. Dass Armut in erster Linie als materielle Unterversorgung angesehen wird und Leute in Afrika grundsätzlich hilfsbedürftig sind, das ist neokolonialistisches Denken. Unser Auftritt als Helfer und Lieferant guter Gaben nährt sich unbewusst aus diesem Grundansatz. In Mali habe ich das Phänomen des Neokolonialismus auch dort beobachtet, wo westliche Organisationen nach ihren Vorstellungen Strukturen aufgebaut haben, ohne die Malier von vorneherein einzubeziehen und sich dann später wundern, dass es bei der Übergabe und Weiterführung des Projekts nicht funktioniert. Wenn Projekte einseitig mit westlichem Geld finanziert werden und so Kontrolle ausgeübt wird, dann ist das neokolonialistisch oder wenn Projekte nach westlichen Maßstäben evaluiert werden, ohne dabei genügend einheimische Denkweisen und einheimische Auswertungsmechanismen zu berücksichtigen. Oft werden westliche Konzepte oder Trends wie Nachhaltigkeit oder community development eingeführt und als in sich logisch und umsetzenswert betrachtet, ohne dies genügend mit den lokalen Partnern zu diskutieren und kontextrelevant auszugestalten. Die positive Wirkung oder der Nutzen einer Maßnahme wird kulturell unterschiedlich bewertet und muss deshalb in die Evaluierung einfließen. Natürlich dürfen westliche Strategien in die Arbeit einfließen, aber die Malier müssen letztlich entscheiden, ob und wie sie diese umsetzen wollen, auch wenn das anders geschieht, als ich mir das vorstelle.

Simon D. (AM): Was sind unsere Hausaufgaben als Allianz-Mission? Was müssen wir im Blick zurück und was im Blick nach vorne tun?


Alfred: Ich würde dazu raten, sich langsam, aber sicher von Initiativen zu verabschieden, die einseitig durch die westliche Missionsarbeit entstanden sind, auch auf die Gefahr hin, dass Projekte sterben. Ich würde nur dann etwas Neues starten, wenn dies auf Einladung geschieht bzw. die Arbeit von vorneherein integrativ und partnerschaftlich gestaltet werden kann. M.E. ist es ratsam, sich aus Entscheidungsgremien in den Arbeitsgebieten frühestmöglich zurückziehen, denn alleine unsere Präsenz birgt in bestimmten Kontexten die Gefahr der Bevormundung. 

Wenn wir nach einem Heimataufenthalt in Deutschland nach Mali zurückgekehrt sind, haben wir nie die alten Posten für uns beansprucht, die wir an Malier übertragen hatten und inzwischen ganz von ihnen begleitet wurden. Eine Arbeit gemeinsam beginnen, sie dann Maliern ganz überlassen, das hat mit Vertrauen zu tun, das in einem erheblichen Maße leiden würde, wenn man irgendwann wieder als Chef das Feld betritt. 

Wichtig ist auch, dass ich Strategien oder theologische Grundlinien nicht ohne meine Partner in den Ländern festlege und versuche diese dann anschließend zu kommunizieren und als gemeinsame Handlungsmaxime zu verkaufen. Uns bricht kein Zacken aus der Krone, wenn unsere Ideen nicht eins zu eins übernommen werden, oder sogar ins Leere laufen. Wir sind nicht da, um das letzte Wort zu haben, und wir müssen es akzeptieren, besonders im postkolonialen Kontext, dass man sich gegen westliche Positionen solidarisiert. Da kann es vorkommen, dass der Missionar als Weißer im Zuge des neu entstandenen nationalen und kulturellen Selbstbewusstseins, z.B. der Afrikaner, unter Generalverdacht gerät und den Eindruck hat, dass jetzt "der Spieß umgedreht" wird. 

In unserem theologischen Forum in Mali, das einer meiner Kollegen an der FATMES initiiert hat, fiel neulich als Reaktion auf die päpstliche Verlautbarung Fiducia supplicans zur Segnung Homosexueller der Satz: "Wir wollen von der westlichen Theologie lernen, doch wir wollen nicht bevormundet werden. Wir wollen niemanden, der uns etwas vordiktiert. Wir verfügen über genügend eigene Mittel, um uns theologisch zu positionieren". Genau dafür ist z.B. die FATMES in Bamako da, unsere gemeinsame theologische Ausbildungsstätte, um eine gesunde Form theologischen Selbstbewusstseins im Kontext zu entwickeln. Ich möchte nicht für Malier reden. Ich muss ihnen keine Stimme geben. Sie haben ihre eigene, und die sollen sie selbstbewusst zur Geltung bringen, laut und wo immer sie das wollen. 

Vielleicht entsteht aufgrund der neuen Entwicklungen eine Form der Vulnerabilität, an die wir uns als Leute aus dem Westen gewöhnen müssen. Es ist eine wichtige Lektion, die es zu lernen gilt. Nur wenn wir es lernen, unseren nationalen Partnern die Macht des souveränen Denkens und Handelns zu überlassen, entgehen wir der Gefahr des Neokolonialismus. 


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5.  Missionare der Allianz Mission als Profiteure des Kolonialismus in China 

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7.  Vom Neokolonialismus und den Hausaufgaben

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