Koloniale Geister besiegen - 5. Missionare der Allianz-Mission als Profiteure des Kolonialismus in China


Simon D. (AM): In Deinem Artikel ordnest Du die ersten Missionarinnen und Missionare der Allianz-Mission in China als Profiteure des Kolonialismus ein. Könnte man das so lesen: "Wir waren es nicht, wir müssen uns nicht entschuldigen"?


Alfred: Missionare waren zum großen Teil Profiteure, zu dieser These stehe ich. Afrika, weite Teile Asiens und Amerika sind kolonialisiert worden, ja, und Missionare waren Zeitzeugen, Mitwisser, teilweise Kollaborateure und Profiteure der Ereignisse, aber die Haltung und Rolle der Missionare waren sehr unterschiedlich. Es hat auch Gegner des Kolonialsystems gegeben und Fürsprecher für Menschenrechte und für die Selbstbestimmung der einheimischen Völker. Diese Differenzierung ist mir wichtig. 

Man muss die Dinge und schuldhafte Verstrickungen in der Geschichte konkret ansprechen, mit den Menschen, die betroffen sind und wenn es sich sinnvollerweise ergibt. Dann macht Entschuldigung Sinn, mehr jedenfalls, als wenn eine Erklärung mit Schuldeingeständnis verfasst würde. Vielleicht gelingt es auf diese Weise, die Schärfe aus der Debatte zu nehmen. So habe ich es beispielsweise gemacht, als wir Ende der 1980er Jahre nach Mali gingen und mir bewusst wurde, dass malische Soldaten von den Nationalsozialisten im 2. Weltkrieg getötet worden waren. In diesem Moment habe ich das Thema angesprochen, weil mir von einem alten Pastor erzählt wurde, der in Frankreich in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten war. Seine Kollegen habe ich, im Bewusstsein einer kollektiven Verantwortung, um Verzeihung gebeten. Missionsarbeit ist für mich persönlich auch immer eine Möglichkeit zur Völkerverständigung, zur Wiedergutmachung und ein Zeichen dafür, zeigen zu können, dass Leute aus dem Westen es auch anders können und sie nicht nur bevormundende Eroberer, Ausbeuter und Kolonialherren sind. Als Missionar aus Deutschland halte ich mich aufgrund unserer besonderen Geschichte in der Zeit des Nationalsozialismus zurück, den Maliern politische Ratschläge zu geben.

Aber zurück nach China ... Die Arbeit der Allianz-Mission in China begann in den frühen 90er Jahren des 19. Jahrhunderts. Die damalige China-Allianz-Mission war nicht die einzige Mission, die vom historischen Kolonialismus profitiert hat. Es hat im Übrigen auch Missionsgesellschaften gegeben, die in den 1830er Jahren, also lange vor der Berliner Kongo Konferenz im Jahre 1884/85 in Afrika und in anderen Teilen der Welt tätig waren und sich beim Start ihrer Arbeit nicht auf koloniale Errungenschaften stützen konnten. Sie haben den direkten Kontakt mit den local chiefs gesucht, und um Erlaubnis gebeten. Meiner Beobachtung nach, ohne dies statistisch genau belegen zu können, haben die meisten Missionare in China und anderswo von der sog. kolonialen Öffnung profitiert. Und die meisten haben nicht darüber nachgedacht, welche politischen Ambivalenzen damit verbunden waren. Sie waren zu euphorisiert, um diesen Entwicklungen aktivistisch oder kritisch gegenüberzustehen. Sie haben von der Entwicklung profitiert, weil sie der Meinung waren, dass ihre Opferbereitschaft, ihre guten Ziele und Motive ihr Handeln rechtfertigen. Man war, was den chinesischen Kontext angeht, dankbar für die offenen Türen, die sich nach den Opiumkriegen und insbesondere durch den Vertrag von Tientsin (1860) auftaten. Das Kümmern um die Millionen verlorener Seelen im Inneren Chinas war wichtiger als die kritische Auseinandersetzung mit der westlichen Kolonialpolitik. Diese Einstellung wird noch verständlicher, wenn man bedenkt, dass im 19. Jahrhundert auch die Missionarinnen und Missionare von der Überlegenheit ihrer westlichen Zivilisation überzeugt waren. Das gehörte zum Zeitgeist und zu den allgemein geteilten Überzeugungen

Simon D. (AM): Ja, das ist mir beim Lesen der Berichte von Missionaren aus dieser Zeit auch aufgefallen ...

... ich denke, dass diese Gruppe von Missionaren sicherlich nicht die Schuld oder Verantwortung für die koloniale Machtausübung trägt. Viele Missionare haben versucht, dem "Kolonialismus ein menschliches Gesicht zu geben", indem sie sich von Diskriminierung und Machtmissbrauch distanzierten. Doch sie waren letztendlich Teil des Systems, und sie mussten später die Folgen tragen, z.B. in China, als nach der Machtergreifung durch Mao und der Gründung der Volksrepublik im Jahre 1949 viele Missionare verfolgt und außer Landes verwiesen wurden. Aus Sicht der chinesischen Kommunisten war dies auch eine "Strafe" für das Zusammenspiel von Mission und Kolonialpolitik. 
Im Übrigen kann man sagen, um die Antwort abzurunden, dass die gesamte Weltmission in ihrer heutigen Form ohne die kolonialistische Bewegung, ohne den westlichen Expansionismus, so nicht denkbar wäre und davon profitiert hat - rein als historisches Phänomen.
 
 
 

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