Koloniale Geister besiegen - 4. Auswirkungen des Kolonialismus in Mali
Simon D. (AM):
Ihr seid vor 36 Jahren als Missionare nach Mali gegangen und seid bis
heute von Deutschland aus für Mali aktiv. Wo habt ihr die Auswirkungen
des französischen Kolonialismus in Mali erlebt?
Alfred: Ganz
neutral formuliert funktioniert die malische Verwaltung nach den
Prinzipien der in der Zeit der französischen Besatzung eingeführten
Mechanismen. Als wir nach Mali kamen, dienten die alten Kolonialgebäude
der Franzosen als Verwaltungsgebäude des unabhängigen Malis. Der
malische Präsident residiert im alten französischen Gouverneurspalast in
Koulouba, einem Hügel nahe der Hauptstadt Bamako. Konkret hat z.B. die
in Satzung gegossenen Rechtsprechung einen höheren Stellenwert als die
traditionelle Gesetzgebung oder Schlichtungsbeschlüsse in den Regionen
in Bezug auf Familienrecht oder Grundstücksangelegenheiten. Das
Schulsystem ist eine Errungenschaft der Kolonialzeit. Das ganze
Wirtschaftssystem funktioniert in den Kategorien der ehemaligen
Kolonialherren. Die malische Währung war lange Zeit an den französischen
Franc gekoppelt. Der Aufbau der kolonialen Wirtschaft hat zu sozialen
Verwerfungen geführt, d.h. zu einer Schwächung der traditionellen
Siedlungen und lokalen Strukturen und zu einer Aufwertung der urbanen
Handelsmetropolen, wo die Kolonialherren das Sagen hatten.
Malier kennen ihre alten Reiche als Einflusszonen ihrer Herrscher, wo es einen Anführer gab, die Klans und lokalen Chefs ihren traditionellen Einfluss jedoch weitgehend behielten. Einen Nationalstaat im modernen Gewand kannten sie nicht. Der wurde ihnen vorgesetzt. Die vorwiegend dezentralen Entscheidungsmechanismen wurden zentralisiert. Das hat zu einer Entfremdung geführt. Das hat man deutlich gemerkt in den Jahren der Demokratie. Erstens war die Wahlbeteiligung stets sehr gering, also nicht repräsentativ, und zweitens kamen die Stimmen meist aus den Städten. Viele Leute sind nur deshalb zur Wahl gegangen, weil man T-Shirts, Fußbälle und Geld verteilt hat.
Aus meiner Sicht ist es ein
neokolonialistisches Vergehen, wenn westliche Länder Demokratien nach
westlichem Vorbild in afrikanischen Ländern implementieren helfen, wenn
ein Mehrparteiensystem eingeführt werden soll und man davon ausgeht,
dass mündige Bürger, mündige Entscheidungen zum Wohl der Nation treffen
sollen. Malier sind im Grunde genommen demokratisch gesinnte Leute, aber
sie leben diese Demokratie anders als im Westen. Es gab präkoloniale
demokratische Formen in den Regionen, die aber von der kolonialistischen
Walze im Sinne der Grande Nation und mithilfe der Zentralisierung niedergemacht wurden.
Hinzu
kommt, dass die Mechanismen des globalen Handels von den reichen
ehemaligen Kolonialmächten dominiert werden. Darauf waren afrikanische
Gesellschaften nicht vorbereitet und sind deshalb bis heute im Nachteil.
Das merkt man z.B. beim Anbau von Baumwolle. Die Malier schuften auf
ihren Feldern, doch sie haben an den Börsen der Welt keinerlei Lobby.
Frankreich versucht nach wie vor, seine Position und die Kenntnisse der
Region wirtschaftlich zu nutzen und diplomatisch und politisch Einfluss
zu nehmen. Die Malier haben das Gefühl, dass die kolonialen Geister,
selbst über 60 Jahre nach der politischen Unabhängigkeit, nie wirklich
vertrieben wurden. Das ist ihnen mittlerweile zu bunt. Deshalb erfolgte
in den letzten Jahren eine nationalistische Trendwende, die zur
Distanzierung von Frankreich und dem Westen geführt hat.
Fragen und Antworten zum Thema "Koloniale Geister besiegen"
1. Der Kulturkampf und die alten weißen Männer
2. Von Privilegien und Verzicht
3. Von Kunstschätzen und Gesten der Wiedergutmachung
4. Auswirkungen des Kolonialismus in Mali
5. Missionare der Allianz Mission als Profiteure des Kolonialismus in China
6. Von Versöhnung und Dekolonialisierung
7. Vom Neokolonialismus und den Hausaufgaben
8. Von der Missionsbewegung profitieren
9. Der Gefahr des Rassismus begegnen
Kommentare
Kommentar veröffentlichen