Koloniale Geister besiegen - 9. Der Gefahr des Rassismus begegnen


Simon D. (AM): Du gibst eine Definition von Rassismus, über die ich nachgedacht habe: "Er entsteht, wo ich Zeitgenossen allein aufgrund ihrer kollektiven Zugehörigkeit, der Hautfarbe oder Herkunft einer von mir geschaffenen Kategorie zuordne, um sie zu diskreditieren oder zu manipulieren". Kannst Du uns das näher erklären?

Alfred: Rassismus hat nicht nur etwas mit Hautfarbe zu tun. Zu den äußerlichen Merkmalen treten ganz allgemein negative Fremdzuschreibungen, wie Herkunft, kulturelle Eigenheiten, Denkweisen, Rechtsauffassungen usw. Das alles wird hochstilisiert, als naturgegeben und wesentlich angesehen und letztlich stereotypisiert. Wenn Mitmenschen mit migrantischem Hintergrund immer wieder angehalten werden, sich zu erklären, was sie sind und was nicht, um die Zugehörigkeit zur deutschen Gesellschaft zu rechtfertigen, dann zeugt dies von einer rassistischen Grundhaltung. Am Ende steht die Ausgrenzung im Sinne von: Die können gar nicht anders. Der oder die gehört nicht zu uns, der passt nicht hierher! Rassismus im Sinne von rassistischem Verhalten und Denken oder Alltagsrassismus ist bei den meisten Menschen nicht das Resultat einer ideologischen Überzeugung oder vertieften theoretischen Reflexion. Die meisten würden auf die Frage, bist Du Rassist, mit einem klaren Nein antworten. Doch unbewusst, fast instinktiv, entstehen rassistische Blasen, die in uns blubbern und dann aufsteigen. Wir müssen uns davor hüten, aus den ersten Begegnungen mit Menschen aus anderen Kulturen zu schnelle Rückschlüsse zu ziehen. Wir sind gut beraten, uns vor unseren intuitiven emotionalen Einordnungen zu hüten, wo es aufgrund von Hautfarbe, Religionszugehörigkeit und Kulturraum zu kategorialen Beurteilungen kommt und rassistische Vorurteile in den Köpfen und Herzen zu keimen beginnen. 

Wenn die persönliche Begegnung letztlich dazu führen sollte zu sagen, wir sind und bleiben uns fremd, dann habe ich immer noch kein Recht, diese Fremdheit in rassistische Diskriminierung zu verwandeln. Selbst wenn Integrationsbemühungen misslingen, habe ich nicht das Recht, rassistisch zu werden. Die kulturelle Vielfalt ist relativ zu sehen und nicht von einem Standpunkt der eigenen Kultur zu bewerten. 
Rassismus ist eine gemachte Ideologie und keine objektive Wissenschaft. Die Hautfarbe, insbesondere die schwarze, hat seit dem 15. Jahrhundert dazu gedient, Sklaverei, Unterordnung und Ausbeutung zu rechtfertigen. Als Europäer können wir uns gar nicht vorstellen, was diese Behandlung mit der Seele eines Menschen und dem kollektiven Bewusstsein macht. Wer rassistische Diskriminierung persönlich nicht erlebt hat und mit den Traumata zu kämpfen hat - ich wiederhole mich -, der kann sich da kaum hineinversetzen. Deshalb kann ich die "revolutionäre Wut" und den Wunsch nach Artikulation und Aufarbeitung gut verstehen.  

Simon D. (AM): Wo müssen wir Christen hier in Deutschland aufpassen, dass wir nicht unreflektiert rassistisch handeln?

Alfred:
Wenn wir uns bei der Einordnung und Bewertung nicht zurücknehmen, dann wird uns das später im Dialog, in den Begegnungen und bei den Integrationsprozessen in unsere kirchlichen Kreise im Weg stehen. Übertriebene Hilfsbereitschaft kann demütigend wirken. Auch bei Christen ist es nicht ausgeschlossen, dass in ihren Herzen Vorbehalte schlummern, die als Vorzeichen, wie bei einer mathematischen Gleichung, das Endergebnis bestimmen. Wir unterscheiden uns alle voneinander, sind also alle anders. Doch das Anderssein kann bereichernd sein und darf nicht zur Zementierung der Fremdheit führen. Wenn ich denke, der ist aber anders, dann muss ich immer bedenken, dass ich auch anders bin. Eine Grundeinstellung der Solidarität wäre sinnvoll. Damit meine ich, dass ich mich mit dem Narrativ, vielleicht auch mit dem Schicksal der Menschen aus anderen Kulturräumen solidarisiere oder identifiziere. In Mali habe ich mir die Lebensbedingungen der Menschen angeschaut, bin mit ihnen ins Gespräch gekommen. Es hat sich im Laufe der Zeit ein hohes Maß an Respekt und Hochachtung entwickelt. Malier schaffen es, selbst unter ungünstigen klimatischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ihre Freude am Leben zu bewahren. Das ist beeindruckend. Ihre Kultur ist nicht nur Lebensstrategie, sondern Überlebenskunst.

Simon D. (AM): Welchen Satz gibst Du unseren Leserinnen und Lesern mit auf den Weg?

Alfred: Die neokolonialistische und rassistische Falle lässt sich am ehesten dadurch umschiffen, wenn wir uns mutig auf die Begegnung mit Menschen aus anderen Kulturen einlassen, ihnen zuhören, von ihnen lernen und weniger für die Menschen arbeiten als mit ihnen.

Simon D. (AM): Danke, Alfred, für das Gespräch.

 

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