Mali | Rassismus in Mali !?

Wo landet man als Europäer, als Mensch mit offensichtlich weißer Hautfarbe, wenn man in Mali danach fragt, ob es auch in der malischen Gesellschaft Rassismus gibt? Genau das habe ich versucht herauszufinden und bin dabei auf ehrliche, humorvolle, anschauliche, aber auch von Vorurteilen und schematischen Vorlagen geprägte Antworten gestoßen.
Einer der Gesprächspartner, mit dem ich vor unserem Haus hier in Bamako darüber sprach, sagte: „Nein, Rassismus gibt es bei uns nicht. Den gibt es nur zwischen Weißen und Schwarzen.“ Punkt.
Das war mir etwas zu schematisch. Deshalb fragte ich weiter nach: "Gibt es ein Wort in Bamanan für „Rassismus“? Wie aus der Pistole geschossen bestätigen die Leute in der Runde: „Ja, das gibt es. Siyawoloma – das ist der Begriff, den wir für Rassismus benutzen.“
Also frage ich mich: "Wieso wird auf der einen Seite kurzentschlossen die Tatsache abgelehnt, dass es in Mali Rassismus gibt, und auf der anderen Seite genau für dieses Phänomen ein eigener Begriff geprägt?

Mein Verständnis von Sprache besagt, dass Begriffe, Wörter und sprachliche Konzepte immer ein Pendant in der Wirklichkeit haben, in den Legenden, in Gedanken, in der Historie, im Alltagsleben. Das heißt folglich: Wenn es ein Wort für Rassismus gibt, dann gibt es analog dazu auch eine erlebbare oder erlebte Wirklichkeit. Meine Beobachtungen und Erfahrungen zeigen, dass Malier in ihren Sprachen keine „theoretischen Konzepte“ erfinden, die wenig mit ihrem Leben zu tun haben. Es ist meist umgekehrt.
Ich ahne, was die Malier mir sagen wollen: Es gibt einen Begriff, aber das, was wir unter Rassismus verstehen ist nicht das Gleiche, was in Europa darunter verstanden wird. Also reden wir weiter ...
Das Gespräch zu einem durchaus ernsthaften Thema erlebe ich als entspannt und weit entfernt von den frontalen Auseinandersetzungen in den gängigen sozialen Netzwerken. Während wir plaudern, kommt ein junger Mann an das offene Tor. Auf seinem Kopf trägt er eine Menge von Metalltöpfen und Stövchen, von denen er gerne das ein oder andere loswerden würde. Ich frage, ob er aus einer Familie von Schmieden kommt (bamb.: numuke). Er lacht und bejaht. Dann erzählt er voller Stolz, wo er herkommt, aus Burkina nämlich und erklärt, warum er nach Bamako gekommen ist und wie das Geschäft so läuft. Das, was in Europa als negativ besetztes „othering“ bezeichnet wird, ist hier im multikulturellen Mali an der Tagesordnung. Keiner fühlt sich hier als „Anderer, nicht dazugehöriger Fremder“ ausgegrenzt, wenn man ihn nach Herkunft und Familienname fragt, auch wir als Europäer nicht. Im Gegenteil, man ist eher stolz, sich mit seiner Familiengeschichte positiv profilieren zu können. Mit den Schmieden ist das in Mali eine besondere Sache. Sie haben hier einen gewissen Ruf und nehmen in der Tradition eine bestimmte soziale Rolle ein, heute als Metall verarbeitende Schlosser
und Beschneider, früher als Waffenschmiede. Der Umgang mit Feuer, scharfen Messern und Waffen hat ihnen den erwähnten, mystischen Ruf eingebracht. Der Unterschied ist also nicht aufgrund von willkürlichen Vorurteilen zustande gekommen. Der Schmied, wie alle anderen Angehörigen bestimmter Zünfte oder Kasten gehören in ihrer Unterschiedlichkeit dazu. Wer unterscheidet, der grenzt nicht automatisch aus, oder möchte seine Überlegenheit darstellen. Malier wissen selber sehr genau, dass es kulturelle Unterschiede zwischen den Volksgruppen gibt. Sich der kulturellen und historisch gewachsenen Eigenarten bewusst zu werden, gehört zu einer gesunden Identität.
Die Zugehörigkeit zu einem Klan oder einer Familie wird meist auf eine sehr humorvolle Weise hervorgehoben. So sagte mir ein junger Mann nach einem Smalltalk: Diallo, das ist „number one“, Coulibaly, die sind zweitrangig.

Was also bedeutet siyawoloma genau?
Das Wort ist ein Kompositum, das sich aus dem Nomen siya und dem Verb woloma
zusammensetzt. Siya ist das Wort, was für Ethnie, Klan, Kaste, altmodisch für Stamm und eher problematisch für Rasse benutzt wird. Das sich daran anschließende Verb woloma bedeutet: sich trennen, um sich zu unterscheiden; die Überlegenheit zum Ausdruck bringen. Das, was wir im westlichen Kontext mit Rasse wiedergeben, wird im Bamanan mit sifa (biologische Art, bestimmte Qualität, Eigenart) wiedergegeben. Die Unterscheidung in Rassen basiert per definition eher auf willkürlich gewählten Ähnlichkeiten (wie Hautfarbe, Aussehen, Verhalten u.a.). Hinzu kommt die Zuordnung zu einer einheitlichen genetischen Abstammungslinie, die es aber in der Praxis nicht gibt.
Entscheidend für die Identität  in Mali ist nicht die Hautfarbe oder das Aussehen, sondern die Zugehörigkeit zur Ethnie und Großfamilie. Der Bezug auf die Hautfarbe würde in Mali wenig Sinn ergeben. Seit den Tagen der Unabhängigkeit sieht man es im Übrigen nicht gerne, wenn auf die ethnische Differenzierung zu viel wert gelegt wird. Der nationale Einheitsgedanke, sich als Malier zu verstehen, sollte gefördert werden, und damit evtl. auch Konflikte verhindert werden, die auf die Ethnizität zurückzuführen sind. Die Ethnizität kann aber auch zum Ethnozentrismus führen, zu der Auffassung, dass die eigene Ethnie das non plus ultra sei. Und dann ist der Weg zum siyawoloma, zum ethnischen oder rassistischen Überlegenheitsgefühl nicht mehr weit.

Ein Rassist ist also ein Mensch, der sich aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe oder Klan anderen Menschen überlegen fühlt und sich von ihnen distanziert. Malier sehen jene Weiße als Rassisten an, so die konkreten Hinweise meiner Gesprächspartner, die sich weigern, mit ihnen den Tee am Straßenrand zu teilen, die sich nicht zu ihnen setzen, um zu reden, die nicht auf die gleiche Toilette gehen und in der Halbdunkelheit einen Bogen um sie machen, und jene, die schon lange im Land leben und aus einem nicht nachvollziehbaren Grund noch immer nicht eine der Nationalsprachen sprechen.

Gibt es in Mali rassistische, also ethnisch bedingte Vorurteile?
In der Historie Malis hat es immer auch kriegerische Auseinandersetzungen gegeben, die aufgrund des Gefühls der ethnischen Überlegenheit ausgetragen wurden. Es gibt Ethnien, die andere als Barbaren bezeichnen und damit die Überlegenheit der eigenen Gruppe zum Ausdruck bringen. 

  • Die Bezeichnung Boso/Bozo für das malische Fischervolk z.B. ist eine Fremdbezeichnung der Bambara und hat einen negativen, abwertenden Unterton. 
  • Bis in die 1930er Jahre kannten die meisten Europäer und Amerikaner die Dogon als Habé oder Habbe (sing. kado). Die französischen Herrscher entlehnten den Begriff von den islamisierten Fula-Völkern (auch Fulani genannt), die den Begriff für die benachbarten Dogon nutzten und sie als Bauern und Ungläubige diskreditierte. Die Vorurteile aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit dauern bis heute an, obwohl es auch unter den Dogon mittlerweile viele Muslime gibt. Malier werten die Konflikte vereinfacht als den zwischen Hirtenvolk (Fulani) und Bauern (Dogon) ab. Doch das Problem sitzt tiefer. Es hat Auswirkungen auf die Erziehung. Aufgrund der Erfahrungen wird davor gewarnt, einen Fulani als Freund zu haben. Andere Ethnien werden als Freunde bevorzugt, weil Fula (Peulh) sich immer wieder als „Halunken“ hervorgetan haben, denen man nicht trauen kann.
  • Die eher hellhäutigen Ethnien im Norden Malis "halten sich für etwas Besseres" und sehen uns Dunkelhäuige aus dem Süden als minderwertig an, so die gängige Meinung in Mali. Der in Deutschland kontrovers diskutierte Begriff "Mohrenkopf" bezieht sich historisch betrachtet im Übrigen ausgerechnet auf die eher hellhäutigen Mauren aus Nordafrika und nicht auf die Schwarzafrikaner südlich der Sahara. 

Ein Mitarbeiter, der neben mir auf einem Stuhl saß und Tee kochte, erklärte das Phänomen des Rassismus so: „Das ist wie mit einer Schlange. Irgendwann haben die Menschen die Erfahrung gemacht, dass Schlangen giftig sind und Unheil mit sich bringen. Die Folge: Jedes Mal, wenn wir einer Schlange begegnen, meiden wir sie, oder nehmen uns einen Knüppel und schlagen sie tot. So ist das mit dem Rassismus gegenüber den Menschen einer anderen Ethnie. Wir schüren Vorurteile, meiden sie, weil sie uns in der Vergangenheit Unheil gebracht haben, selbst dann wenn wir heute nur noch vereinzelt negative Erfahrungen machen.“
Diese diskriminierende Haltung zeigt sich bis heute und findet in Alltagsszenen ihren Ausdruck. Sie kann im traditionellen Sinne als siyawoloma, als Rassismus bezeichnet werden. Analog dazu wurde die europ. Zivilisation im Zeitalter des Kolonialismus als höherwertig angesehen und daraus das Recht zur Unterdrückung der „schwarzen Völker“ Afrikas abgeleitet.

Was unterscheidet den westlichen Rassismus vom afrikanischen Rassismus?
Der afrikanische Rassismus basiert auf historisch entstandenen Vorurteilen und aufgrund konkreter negativer Alltagserfahrungen. Der westliche Rassismus ist eine regelrechte Ideologie, die mit ihrem theoretischen Überbau, Angehörige einer anderen "Rasse" als minderwertig darstellt. Die überlegene westliche Religion und Zivilisation wurden evolutionstheoretisch und auch theologisch begründet. Der Rassismus erhielt damit einen fast rechtlichen Status, mit dem die Maßnahmen zur Unterdrückung und Ausbeutung gerechtfertigt wurden.
Im malischen Alltag hat Rassismus keine große Bedeutung. Er existiert meist unterschwellig. Mit der Schärfe der in Europa und den USA geführten Debatte ist dies nicht vergleichbar. Gott sei Dank. Übrigens kommt es in Mali vor, dass wenn man einen Weißen irgendwo vorstellt, ihn ganz unbedenklich als tubabu (Weißer) bezeichnet, so wie es für Malier auch kein Problem ist, wenn ich ihn als farafin (Schwarzheutiger) bezeichne. Da weiß jeder, wer gemeint ist. Dies ist in beiderseitigem Einvernehmen in diesem konkreten Fall kein Rassismus, obwohl man sich ja vorher nach Namen und Herkunft erkundigen könnte, um eine Person angemessen vorzustellen. Wie würde es in Deutschland klingen, wenn jemand einen Afrikaner einer Gruppe vorstellt und sagt: "Ich habe euch heute einen Schwarzen mitgebracht."?

Es gibt Afrikaner, die aus Prinzip keine Europäer mögen – und umgekehrt. Es gibt Malier, die aus Prinzip Angehörige einer anderen bestimmten Volksgruppe nicht wirklich mögen, mit Stereotypen belegen und Vorurteile schüren. 

Relation und Zugehörigkeit bestimmen zu einem großen Teil die Identität. Kommunikation und Aufbau von Beziehungen, genau das wäre der Schlüssel, um rassistische Vorurteile abzubauen - in Mali und anderswo.

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