Die Bartrasur und die Suche nach dem ganz normalen Missionar

 
Bei der letzten Bartrasur sah ich einen Mann mit weißem Bart im Spiegel und dachte: Da hast du aber ein paar Runden drehen müssen, um so weit zu kommen. Eingefärbt durch die eigene Biografie. Eine rein biologische, chronologische Tatsache. Und ein bisschen philosophisch: Wer sich dem Leben aussetzt und es intensiv gestaltet, der wird auch von ihm "gezeichnet". Das Leben formt, und je intensiver man lebt, desto tiefer werden die Falten des Profils. So ist das. Das ist ganz normal.

Glücklicherweise haben wir seit vielen Jahren in einer Kultur gelebt, in der Alter und Erfahrung, Falten und graue Haare geschätzt und respektiert werden. Das hat dem Selbstbewusstsein nicht geschadet. In der aktuellen Entwicklung in Deutschland stürzen sich Soziologen und Unternehmer auf die Jugend der Generation Z (je nach Autor auch Zoomers genannt, Jahrgänge 1996-2012), die es für die Zukunft zu gewinnen, mehr noch, an die es sich anzupassen gilt.

Ich bin skeptisch gegenüber pauschalen Kategorisierungen nach dem Motto: Die Generation Z ist weltoffen, umweltbewusst, faul, nicht belastbar, anspruchsvoll, Smartphone-affin etc. Bei den Älteren, den X-Y-Millenials und den Babyboomern, findet man all das inzwischen auch. In jeder Generation gibt es immer die einen und die anderen. Jede Generation hat ihre Eigenarten, und die der jungen Generation stehen deshalb im kritischen Fokus, weil sie zukunftsrelevant sind.

Wir Babyboomer haben die erste Ökowelle aktiv mitgestaltet, haben mit bunten Fahrrädern und farbenfrohen Latzhosen gegen zu viele Autoabgase in den Städten aufgemuckt. An die digitale Welt mussten wir uns langsam herantasten, aber sie ist uns nicht fremd. Und wir haben uns eine gewisse kritische Distanz bewahrt. Die Journalistin Susanne Matthiessen, 61 Jahre alt, fasst in der Sendung "Sonntagsfragen" (WDR2, vom 3.3.24) die Besonderheiten ihrer und meiner Generation zusammen und findet folgende Stichworte, die sie mit Beispielen aus ihrer eigenen Lebensgeschichte belegt: Viele von uns haben alternativ anders gelebt und als Aussteiger neue Lebensformen gesucht, waren gegen überkommene Konventionen, etwas rebellisch, teamfähig und gegen zu viel Kontrolle. Lange kein eigenes Haus, eher eine Wohngemeinschaft und ein Neuanfang in einem anderen sozialen oder kulturellen Umfeld. Wir waren viele, es gab Konkurrenzdruck. Wir mussten uns Freiräume erkämpfen, mit dickem Fell und ein paar Ellenbogen. In sozialen Notsituationen wurden wir kreativ, packten an, suchten Solidarität und riefen nicht so schnell nach dem Staat. Wissen haben wir uns aus Fachbüchern geholt, Internet gab es noch nicht. Wir haben zu lange gewartet und damit vielleicht auch anderen den Aufstieg verbaut. Heute werden wir für alles verantwortlich gemacht, was mir zu einseitig ist. Wenn die Errungenschaften einer Generation mit dem Bade ausgeschüttet werden, werde ich grundsätzlich skeptisch. - Soweit die lebensnahe Analyse von Susanne Matthiessen, der ich viel abgewinnen kann. Kaum zu glauben. So waren wir, und so sind wir als Babyboomer in die Welt gezogen und haben als ganz normale Missionare versucht, unser Bestes zu geben. 

Abends müde und zufrieden zu sein, weil die Arbeit Spaß gemacht hat, ist ein tolles Gefühl, auch wenn es ein paar Stunden mehr waren. Bis um halb Zehn am Block stehen und mit dem Beil in der Hand Holz spalten, bis man fertig ist, und dabei der Sonne beim Verschwinden hinter dem Horizont zuzuschauen, was gibt es Schöneres? Mit der Familie zusammensitzen, sich von den Kindern bekochen lassen und gemeinsam Pläne schmieden, das war Quality Time zu einer Zeit, als es das Wort noch gar nicht gab. Kinder zu haben und sie fit fürs Leben zu machen, ohne daran zu denken, dass sie mit ihrer Atemluft zu viel CO₂ ausstoßen, das ist Arbeit, aber eine erfüllende. Sich im Leben nicht zu überfordern und es verantwortungsvoll auszubalancieren, das ist wichtig. Das Konstrukt Work&Life-Balance wird im Diskurs jedoch häufig so dargestellt, als stünden sich zwei Seiten wie Antipole gegenüber, die um die Vorherrschaft ringen. Es wird suggeriert, Arbeit sei "lebensfeindlich". Das halte ich für absurd und kontraproduktiv. Arbeit ist glücklicherweise in vielen Fällen sinnvolles Leben, aus dem man nicht in ein anderes Leben flüchten muss. Arbeit hat ihren Wert und muss ins Leben integriert sein.
In unserer Missionsarbeit haben wir die Familienzeit für Kontakte mit den Nachbarn genutzt, den Feierabend manchmal zur Arbeitszeit gemacht und zu Filmabenden auf unseren Hof eingeladen. In einem dieser "hybriden Zeitfenster" hat sich eines unserer Kinder für ein Leben mit Jesus entschieden. Zum Ausgleich gab es ein verlängertes Wochenende. Ich plädiere für eine unaufgeregte, gelassene Lebensgestaltung ohne ideologischen Unterton und ohne übertriebene Aufregung um generationelle Eigenheiten.

Artikel, Analysen, Umfragen, die sich mit der Generation Z beschäftigen, schießen wie Pilze aus dem Boden. Dabei wird dem westlichen Denken innewohnenden Drang zur Kategorisierung gerne nachgegeben und es werden Schubladen gezimmert. Die Gründe für die skizzierte Fokussierung liegen auf der Hand. In allen Bereichen des öffentlichen Lebens mangelt es an Fachkräften. Auch christliche Missionsgesellschaften sind davon nicht ausgenommen. Wenn wir junge Menschen motivieren und engagieren wollen, müssen wir uns auf ihre Bedürfnisse und Erwartungen einlassen. Es gibt keine andere Jugend. Deshalb macht es auch keinen Sinn zu suggerieren, dass ältere Generationen alles besser gemacht hätten. Wir wissen es nicht besser, nur anders. Gerade deshalb brauchen wir die Jugend, die uns sagt, dass dies eine Illusion ist. Die Jugend hält den Älteren den Spiegel vor und zeigt uns unsere Schwächen auf. Die Älteren tun gut daran, sich den Jüngeren mit ihren neuen Konzepten nicht in den Weg zu stellen und sich anzuhören, was sie zu sagen haben. Trotzdem lassen wir uns nicht ins Bockshorn jagen und holen notfalls tief Luft, um uns zu wehren. "Die Jungen" wiederum signalisieren, dass sie den Rat und die Begleitung der Älteren schätzen. Also - wir brauchen uns offensichtlich gegenseitig. Gerade deshalb ist es wichtig, keine Keile zwischen die Generationen zu treiben. Eine einseitige Betrachtungsweise, die darin bestehen könnte, eine junge Generation, die sich noch im Werden befindet, die noch in der Phase der Identitätsfindung nach links und rechts schaut, zu überhöhen, ist daher nicht hilfreich.

Inwieweit die Menschen der Generation Z mit ihrem Profil den Herausforderungen der realen Welt gewachsen sein werden, werden sie unter Beweis stellen müssen. Dabei wären Korrekturen an der aktuellen Wahrnehmung, den Wünschen und den Erwartungen nötig. Das viel zitierte "Mitreden wollen auf Augenhöhe" ist nur eine Vorstufe. Die Welt wird auch nicht durch Protest und punktuellen Aktivismus verändert. Konkretes Gestalten mit nachhaltiger Wirkung geht nur mit Verantwortung und langem Atem, und das ist dann wieder eine ganz andere Nummer. Bis es so weit ist, bin ich schon im Ruhestand und kann mit gutem Gewissen im Hintergrund agieren.
Im Affenzahn der gesellschaftlichen Entwicklung fällt es den Babyboomern manchmal schwer, Schritt zu halten und sich mit aller Kraft an den absteigenden Ast zu klammern.

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