Wir begießen trockenes Land


Die Wüste soll grün werden. Benötigt werden Gießkannen. Wir begießen das trockene unbewohnte Land solange, bis es Gras hervorbringt! - Eine solche Projekt- und Aufgabenbeschreibung würde bei Utopisten die reinste Begeisterung hervorrufen, bei Realisten und kühlen Rechnern jedoch das Gegenteil auslösen. Wasser auf verwüstete Erde ausschütten, zudem noch in einer Gegend, wo kein Mensch wohnt, das ist Sinnbild für vergeudetes Engagement und zum Fenster hinausgeworfener Ressourcen.  Ein solches Projekt wäre alles andere als  vielversprechend und Geldgeber zu finden äußerst schwierig. Nach Erfolg und Wirksamkeit sieht so etwas nicht aus. 

Gott erinnert Hiob an die aussichtslosen, verwüsteten Anfänge und fragt ihn (Hiob 38, 25-27): "Wer hat dem Platzregen seine Bahn gebrochen und den Weg dem Blitz und Donner,  dass es regnet aufs Land, wo niemand ist, in der Wüste, wo kein Mensch ist, damit Einöde und Wildnis gesättigt werden und das Gras wächst?" Wie schon so oft hat der Segen in biblischen Erzählungen an wüsten und verfluchten Orten begonnen, in Einöden, die keine guten Aussichten eröffneten.

Im Senegal haben wir vor einigen Jahren ein landwirtschaftliches Projekt besichtigt. Es fing damit an, dass der Projektinitiator von umliegenden Dörfern karges Land, ein abgeholztes, verwüstetes Stück Erde als Pacht erhielt. Zehn Jahre lang lag das Land brach. Regen- und Trockenzeiten wechselten sich ab. Keine Aussaat. Keine Ernte. Kein mechanischer Eingriff in die Natur. Nur eine Umzäunung, um grasenden Tieren den Zugang zu verwehren. Keine verifizierbaren Ergebnisse. Das einzig Vorzeigbare bestand darin, dass einzelne Sträucher und kleine Bäume wild wuchsen, Blätter entwickelten und der Wind den Samen davon trug,  der neue Pflanzen hervorbrachte. Das Land wurde sich selbst, seinen innewohnenen Kräften und der Natur überlassen. Die Messbarkeit der Wirksamkeit war hier Fehl am Platz, denn es fehlten die Anhaltspunkte für betriebenen Aufwand und Ergebnis. Im Laufe der letzten Jahre ist dort ein einträgliches landwirtschaftliches Unternehmen und ein Bildungszentrum entstanden.

Wahre Pioniersituationen gleichen dem Gefühl einer Wüstenerfahrung. Staub, Weite, ungeordnete Elemente und unendeckte Potenziale treffen auf Vision, Willen und Gottvertrauen. Mit Hilfe kreativer Ansätze gelingt es dann allmählich, dem empfundenen Nichts eine konkrete Kontur zu entlocken und ihm Entwicklungspotential abzugewinnen.

Der Wunsch, den Fortschritt, das Gelingen und den Erfolg in der missionarischen Arbeit zu messen hat längst Einzug gehalten in unser Denken und Handeln. Wer wünscht sich keinen Erfolg, keine messbaren Ergebnisse, die den Einsatz von Energie und Kreativität rechtfertigen? Angesichts begrenzter Ressourcen an Personal, Zeit und Geld ist dieser Ansatz gerechtfertigt. Auch theologisch lässt sich hier Einiges ins Feld führen. Wachstum und Effektivität sind durchaus biblische Aspekte. - quantitatives und qualitatives Wachstum von Gemeinden, Fortschreiten in der Erkenntnis des Wortes Gottes und in der Weisheit in der Jesusnachfolge. Der Verweis auf Jesaja 55,11 vermittelt eine solche Perspektive der Wirksamkeit: "Mein Wort wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende."

Dieser Vers ist eingebettet in eine umfassende göttliche Perspektive (Jesaja 55, 8-9): "Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR, sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken."

Die Faktoren der Messbarkeit sind in Jesaja 55 metaphorisch verpackt in eine göttliche Dimension. Die Wirksamkeit des Wortes Gottes, das in die Welt hinauskatapultiert wird, entfaltet sich dort, wo die  Nichtmachbarkeit und die menschliche Begrenztheit durch übergeordnete Gedanken Gottes und seine neuen Wegen ersetzt werden. Wirksamkeit zeigt sich da, wo Regen die Erde befeuchtet, Wachstum kreiiert und Nahrung hervorbringt. Wirksamkeit zeigt sich im Frieden, der uns in der Arbeit begleitet. Berge und Hügel werden jauchzen, Bäume in die Hände klatschen. An der Stelle von Dornen werden Zypressen wachsen, die als effektiver Winschutz dienen und aus denen ätherische Öle gewonnen werden können. Diese Redeweise ist fernab von allen Projektevaluationen, wie wir sie verfassen oder zu bewerten hätten. Keine dieser Kategorien würden die uns beratenden Coaches vollends zufriedenstellen.

Die kühl kalkulierte Kosten-Nutzen-Rechnung (Wirtschaftlichkieitsprinzip) hat an dieser Stelle keinen Platz. Es würde dem Wesen christlicher Missionsarbeit nicht gerecht werden. 

Wahre Wirksamkeit ist die durch visionäre Kraft und Ausdauer geprägte Tätigkeit, die zum Ziel führt, jedoch ungeachtet der strikten Relation zwischen nachweisbarem Ergebnis und betriebenem Aufwand. 

In der Philosophie des modernen Management stehen Effizienz (wie man richtig handelt) und Effektivität (messen, ob man das Richtige tut) in Beziehung zueinander. Die Wahrscheinlichkeit, dass, wenn man effizient handelt, auch etwas Effektives dabei heraus kommt, steht nicht schlecht. In der interkulturellen Missionsarbeit geht diese Rechnung aber nicht immer auf. Nach den Erfahrungen im kolonialistischen Kontext ist es ratsam, die auf westlichen Theorien basierende Effektivitätsmaßstäbe gründlich zu hinterfragen. Die koloniale Mentalität in Form von Bevormundung und Vorgaben lauert nach wie vor als eine Gefahr hinter den Zäunen westlicher Strategien und Denkmuster. Fragen wie "Was können wir tun? oder "Wie können wir helfen?" sind kontraproduktiv. Warum müssen wir immer unsere Hilfe anbieten, ohne zu wissen, ob sie überhaupt erwünscht ist? Überzogene und vorschnelle Hilfsangebote machen den Empfänger von Hilfen zum "unterentwickelten Opfer mit angekratzter Würde". Vielmehr sollte die Frage im Vordergrund stehen, was wir gemeinsam auf die Beine stellen können. Dabei sollten lokale Problemanalysen, Lösungsansätze und vorhandene Potenziale in den Vorgergrund treten. Auch die Frage danach, was als nachhaltig und wirksam empfunden wird, wird je nach Kontext und Kultur unterschiedlich gewichtet. Das alles erfordert behutsames Mitdenken und Umdenken und einen hohen Zeitaufwand. Das Richtige tun erfordert das gemeinsame Erarbeiten kontextrelevanter Lösungsansätze und Methoden. Es bedeutet Kampf und die Fähigkeit, zwischen dem schnellen Erfolg und nachhaltiger Wirksamkeit zu unterscheiden. Richtig zu handeln bedeut auch manchmal, sich dem Vordergründigen zu entziehen, den schnellen Geldflüssen, dem Messbaren und den trendigen Methoden. Nachhaltige Wirksamkeit setzt tiefer an, nämlich bei gewachsenen Überzeugungen, die erworben wurden, bevor es zu Kooperationen mit westlichen Partnern kommt. Es sind Überzeugungen, die auch dann weiterleben, wenn westliches Geld und strategische Assistenz ausbleiben. Dann, wenn finanzielle Unterstützung in Aussicht gestellt wird, besteht die Gefahr, dass sich die lokalen Strategien an der Richtung des Geldes orientieren und nicht umgekehrt. Auf eine sehr geschickte Art und Weise werden die Schlagwörter herausgefiltert, die der potentielle Geldgeber hören will - Autonomie, Nachhaltigkeit, Bildung, Multiplikation, Ganzheitlichkeit, Gleichberechtigung usw. Diplomatie und Rhetorik orientieren sich an diesen Wortketten, ohne dass es wirklich zu einer kreativen, authentischen Projektinitiative gekommen wäre. Wenn wir wirklich bleibende Wirkung erzielen wollen, dann müssen wir dieser Vorgehensweise auf die Schliche kommen und sie als nicht zielführend entlarven. Wir müssen lernen, Fragen zu stellen, zuzuhören, ohne vorschnell Assistenz in Aussicht zu stellen.

Die Frage nach der Wirksamkeit darf uns nicht den Blick für die wertvolle Einöde, das vertrocknete und verlassene Land und die Einsamkeit verschließen. In den verlassenen Gegenden, an den Orten der Versuchung, der menschlichen Desorientierung und den Herausforderungen, die nicht den schnellen, nachweisbaren Erfolge versprechen - über all diesen Orten ist die kreative Schöpferkraft Gottes mächtig, und sie wird sichtbar, wenn wir geduldig und mit offenen Augen die Hoffnung aufkeimen sehen.

Während unserer vielen Jahre, die wir als Missionare in Mali tätig sind, war unsere Seele mehr als einmal dem Vertrocknen nahe. Mehr als einmal waren unsere Herzen in Pioniersituationen in der Einöde unterwegs und dem Missverständnis preis gegeben. Wie oft haben wir mit offenem, starren Blick am Rande der Savanne gestanden und es sehnlichst erhofft, dass am fernen Horizont die Bäume in den Himmel wachsen.

Wenn einen heute die Leute in Mali loben, dann tun sie es oft, weil die mitgebrachten Gelder Sichtbares hinterlassen haben, ein Gebäude, ein funktionierendes Projekt. Doch die wahre Wirksamkeit meiner Arbeit mache ich daran fest, ob die brüderliche Zusammenarbeit trotz aller kulturellen Unterschiede gelungen ist, ob durch meinen Einfluss Überzeugungen gewachsen sind, die den Gemeinden und Gesellschaften und einzelnen Menschen nachhaltige transformatorische Impulse vermitteln, die auch dann noch greifen, wenn ich längst im Flugzeug sitze. Es ist die vulnerable Wirksamkeit, die schwerlich materialisiert werden kann, weil sie vornehmlich in menschlichen Herzen wirkt, dort weiter reift und sich letztlich der Messbarkeit entzieht. Wirksamkeit messe ich an der hoffenden Ausdauer, die anderen ein Vorbild sein konnte. Wirksamkeit mache ich an Menschen fest, die mir nach Jahren sagen, dass sie durch die einfache Beobachtung meines Lebens- und Arbeitsstils und durch das Teilen meiner Erfahrungen etwas gelernt haben für ihr eigenes Leben. Ich wünsche mir das Hören auf den Klang des Gelungenen, auf die leisen Töne der Wirksamkeit, die ohne wirtschaftliche Power und Rhetorik erzielt wird und, wenn es sein muss, auch ohne die Messwerkzeuge des modernen Managements auskommt.

Kommentare

Unser Partner

Schule in Sabalibougou

SPENDENFORMULAR

Spendenkonto

Spar- und Kreditbank Witten

IBAN: DE86452604750009110900
BIC: GENODEM1BFG

Zweck: Meier - Mali