Wenn in Gottes Reich die Kerzen leuchten

Vor Wochen hatte sich die Sehnsucht angestaut. Noch einmal nach Mali reisen. Freunde, Kollegen treffen, mit ihnen arbeiten, den Staub unter den Füßen spüren und die Hitze auf der Haut. Es fand sich kein Weg. Auch deswegen nicht, weil mir die Pflege meiner an Demenz erkrankten Frau Christiane die entscheidende Wirklichkeit zu sein schien, die es in den Alltag zu integrieren galt. Ich hatte auch nicht die Kraft, über Alternativen nachzudenken und war froh, wenn es gelang, Pflege und die Arbeit im Homeoffice miteinander zu verbinden, ohne dabei die Kräfte zu sehr zu strapazieren. Schließlich eröffnete mir jeder Gedanke beim Erarbeiten von Studienmaterial und theologischen Fernkursen die virtuelle Verbindung mit Mali und den Menschen dort. Damit gab ich mich zufrieden.

Doch mit der Sehnsucht ist es wie beim Tauziehen, wo sich Kräfte reiben, sich die Verhältnisse zugunsten einer Seite verschieben und dabei Motivation und positive Energie freigesetzt werden. Wenn du einmal am Seil stehst, dann gibt es kein Kneifen mehr. Du bist dem Spiel der Kräfte ausgesetzt. Alltagsverantwortung hier in Deutschland und Eintauchen in die missionarische Realität dort in Mali. So versuchte ich, die Option einer Malireise mit aller Kraft zu erhoffen und auf meine Seite zu ziehen.

Dann waren da die zarten verbalen Versuche, bei den Besuchen von Gemeinden und im Rahmen unserer Infobriefe an Freunde, den Wunsch einer möglichen Reise nach Mali zu formulieren. Das schien mir angebracht, denn Gemeinden sind für mich mehr als Konsumenten oder Spendentöpfe. Sie sind Partner in der Weltmission und, so habe ich es immer erhofft, ganzheitliche Begleiter im weltmissionarischen Unterwegssein. Ich war gespannt, wann die ferne Felswand das Echo meiner Worte wieder an mein Ohr zurückschleudern würde und ich in ihnen eine Antwort würde deuten können. Es gab ein paar Rückmeldungen, die sich aber letztlich nicht als zielführend erwiesen.

Mir war klar, was eine längere Malireise für die Situation bei uns zu Hause mit sich bringen würde. Eine Person zu finden, die sich für drei Wochen aus dem Alltag ausklingt, bei uns zu Hause einzieht und sich den Herausforderungen der Pflege einer an Demenz erkrankten Person stellt – dies zu erhoffen, zu erwarten schien mir alles so weit weg. Ich wollte niemanden direkt ansprechen oder bedrängen, sondern es Gott überlassen, eine praktikable Lösung zu finden. Jeder hat seine eigene Familie, seinen Job, sein ehrenamtliches Engagement und seine eigenen Sorgen. Wer kann das? Wer macht das? Wer traut sich das zu? Wer hat die Zeit dafür?

Offensichtlich hatte der verbale Steinwurf dazu geführt, dass ein Vogel aus dem Gebüsch aufgestiegen war. Am 12. Oktober 2022 erreichte uns unverhofft diese Nachricht: „Mein Name ist Anja, … gelernte Krankenschwester und überzeugt davon, dass wir mit Jesus große Dinge vollbringen und in dieser Welt einen Unterschied machen. Alfred, du warst Sonntag in Medenbach. Ich war nicht vor Ort, habe aber erzählt bekommen, dass du noch mal nach Mali reisen möchtest und eine gute Versorgung für Christiane benötigst. Wir können gerne ein Treffen vereinbaren, ich möchte euch meine Hilfe anbieten.“

Zack. Diese Worte waren wie eine ausgestreckte Hand. Es gibt Worte, die erklären, andere kündigen an. Doch aus diesen Worten blitzte die Unmittelbarkeit der Tat hervor. Das war der Geist Gottes, der mal wieder kreativ unterwegs war und Fäden zusammengebracht hat. Diesen Kairos wollte ich nicht ungenutzt lassen und meldete mich zeitnah telefonisch bei Anja. Wir trafen uns. Anja lernte Christiane kennen und die Situation vor Ort – Hygiene, Medikamente verabreichen, Essen vorbereiten, sich im Haushalt zurechtfinden, mit Christiane ins Gespräch kommen. Das Seil war geknüpft, und von Anfang an bestand Vertrauen. Olga, die uns schon seit zwei Jahren in ihrer selbstlosen Art stundenweise zur Seite steht, hatte ihre wertvolle Hilfe angeboten. Die beiden Frauen trafen sich. Die Chemie stimmte. Ich war beruhigt. Auf unsere Kinder, die teilweise in der Nähe wohnen, kann ich mich immer verlassen. Sie würden da sein, alles stehen und liegen lassen, wenn zu Hause Not an Mann und Frau war. Ende Januar packte ich meine Koffer und überließ Anja ab dem 2. Februar das Feld. Ich war beruhigt, gelassen, froh in meinem Herzen und – dankbar. Die Zeit in Mali war gesegnet. Immer wieder hatte ich Kontakt nach Hause, auch in der Zeit der Krise, als Christiane für ein paar Tage schwach war und Fieber hatte. Auf meinem Smartphone las ich diese Meldungen:

„Es gibt gerade Mittagessen. Uns geht es gut. Heute werden wir mit Sonnenschein beschenkt.“
„Du hast eine tolle Familie.“
„Christiane hat geschlafen. Sie hat doch Fieber entwickelt, fühlt sich jetzt aber nicht mehr so warm an, wie heute Nacht. Sie hat schluckweise weiter getrunken. Noch schläft sie.“
„Alfred, ich möchte gerne, mit deinem Einverständnis die übrigen Medikamente weglassen. Levitirazetam geb ich ihr.“

Ich schrieb zurück: „Vielen Dank, Anja, für die Neuigkeiten. Da bin ich erleichtert, dass es ihr wieder besser geht und froh darüber, dass du dich so lieb um Christiane kümmerst.“

„Heute war Jonas hier, gestern Lukas, sie kümmern sich liebevoll.“

Anja erhielt Besuch von ihrem Mann und ihrer Schwägerin. An einem Tag haben sie einen „Frauenabend mit Christiane“ organisiert, mit Liedern und viel Gebeten für und über Christiane.

Zwischendurch schrieb Anja mir diese mutmachenden Worte: „Es muss immer wieder Menschen geben, die den Ruf hören und über geltende Machbarkeit, Gott folgen. Dazu hast du nun auch wieder beigetragen.“

Das gilt aber nicht nur für mich, sondern auch für Anja, die sich im Vertrauen auf Gott und mit viel Hingabe und Liebe auf Christiane eingelassen und das Reich Gottes zum Leuchten gebracht hat.

Unter all den wuseligen Händen und Beinen, die sorgend in der Zeit meiner Abwesenheit um Christiane bemüht waren, sah ich die starke Hand Gottes, die uns trug. Am Tag vor meiner Rückreise haben unsere Kinder Anja als Geste der Wertschätzung und Dankbarkeit mit einem Abendessen zum Abschied überrascht. Im Anschluss daran haben sie das Herrenmahl gefeiert. So bewirkt Liebe spontanes Priestertum. Es war eine bewegte Zeit.

Einen Tag nach ihrer Abreise schrieb Anja: „Ich bin sehr langsam nach Hause gefahren, um meine Eindrücke zu sortieren. Ich trage sie im Herzen. Es war eine gute und besondere Zeit. Umarme Christiane von mir.“

Das tue ich.

Kommentare

  1. Anonym06:47

    Das freut mich sehr Alfred. Gott sei Dank!!!
    Herzliche Segensgrüsse, Bernd

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  2. Anonym17:45

    Ich habe viel gebetet, dass es mit der Betreuung gut geht. Auch den Aufenthalt in Mali habe ich betretend begleitet. Anja hat einen guten Dienst getan, mit der Liebe Jesu im Herzen. Ich habe als Altenpflegerin gearbeitet, betreue jetzt ehrenamtlich Menschen, auch an Demenz Erkrankte. Ich denke weiterhin im Gebet an Euch. Hannelore Jakob, Bad Berleburg.

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  3. Anonym14:29

    Es bewegt mich sehr das zu lesen. Gott sei Dank.

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