Aimé Césaire | Der weiße Mensch tut nur so, als sei er humanistisch gesinnt
Vor hundert Jahren, am 26. Juni
1913, wurde Aimé Fernand David Césaire in den Zeiten der französischen
Kolonialepoche in Basse-Point (Martinique) geboren. Er starb 2008 fast
95-jährig in Fort-de-France. Gemeinsam mit Léopold Sédar Senghor und
Léon-Gontran Damas begründete er das Konzept der Négritude, eine der bisher
meistbeachteten kulturpolitischen und philosophischen Konzepte, die Afrikaner
hervorgebracht haben. Das Trio hatte sich in Paris während des Studiums kennen gelernt. Césaire lernte erst von Senghor die wahre afrikanische Kultur kennen, deren Vertreter während der Zeit der Sklaverei nach Martinique gekommen waren.
Césaire engagierte sich in der
Nachkriegszeit als Politiker, war 1945 Abgeordneter der Kommunistischen Partei
Frankreichs und setzte sich dafür ein, dass Martinique zu einem eigenständigen
französischen Département wurde. 1956 gründete er seine eigene Partei und
schloss sich 1978 den Sozialisten an. Bis 1993 war er Abgeordneter der
Französischen Nationalversammlung.
Ich mag das Foto von Césaire. Es stellt einen Mann dar, der Stil hat, der Weisheit ausstrahlt, der offene, kantige Züge hat, der offensichtlich weiß, was er sagt und was er will. Man sieht ihm die Explosivität und den revolutionären Charakter der Schriften, die von ihm erhalten sind, nicht auf den ersten Blick an. Aimé Césaire ist ein Mann, den ich gerne persönlich getroffen hätte.
Ich mag das Foto von Césaire. Es stellt einen Mann dar, der Stil hat, der Weisheit ausstrahlt, der offene, kantige Züge hat, der offensichtlich weiß, was er sagt und was er will. Man sieht ihm die Explosivität und den revolutionären Charakter der Schriften, die von ihm erhalten sind, nicht auf den ersten Blick an. Aimé Césaire ist ein Mann, den ich gerne persönlich getroffen hätte.
Césaire veröffentliche zahlreiche
Essays, Theaterstücke und poetische Schriften. Die größte Wirkung zeigte jedoch
seine politische Schrift „Über den Kolonialismus“. Sie gehört zur Pflichtlektüre in dem Kurs "Mission und Kolonialismus", den ich am Theologischen Seminar Rheinland, anbiete. In dieser verschriftlichten Rede aus dem Jahre 1950 prangert er die
sogenannten edlen Motive der europäischen Eroberer an. Kolonialismus wird mit
dem Nationalsozialismus verglichen. Den Weißen ging es von Anfang an nicht um
Kulturaustausch, um christliche Werte und europäische Zivilisation, sondern um
Ausbeutung und Herrschaft, so Césaire.
Césaire: „Ja, was denn? die Indianer
massakriert, die islamische Welt um sich selbst gebracht, die chinesische Welt
gut ein Jahrhundert lang geschändet und entstellt, die Welt der Schwarzen
disqualifiziert, unzählige Stimmen auf immer ausgelöscht, Heimstätten in alle
Winde zerstreut ... und Sie glauben, für all das müsse nicht bezahlt werden?“
Der „schwarze Neger“ ist ein Produkt
der europäischen Philosophie. Seit den Tagen Christoph Kolumbus‘ werden
Indianer, Menschen gelber oder schwarzer Hautfarbe als minderwertig angesehen
und ihnen das Recht auf volle menschliche Würde abgesprochen. Der westliche
Kolonialismus ist ein Pseudohumanismus, ein Konzept, das davon lebt, dass der
„Andere“ klein gemacht und geredet wird, um die Größe und Macht des Westens zu
demonstrieren.
Césaires bildhaftes Urteil über den
Kolonialismus und westlichen Imperialismus sieht wie folgt aus:
„Der Kolonisator, der im anderen
Menschen ein Tier sieht, nur um sich selber ein ruhiges Gewissen zu
verschaffen, dieser Kolonisator wird objektiv dahin gebracht, sich selbst in
ein Tier zu verwandeln. … Man erzählt mir von Fortschritt und geheilten
Krankheiten. Ich aber spreche von zertretenen Kulturen, […] von Tausenden
hingeopferten Menschen. … Ich spreche von Millionen Menschen, denen man
geschickt das Zittern, den Kniefall, die Verzweiflung […] eingeprägt hat“
Politiker, Wissenschaftler und
Philosophen, Wirtschaftsbosse und Missionare haben ins gleiche Horn gestoßen
und die Minderwertigkeit des schwarzen Mannes gefördert.
Die 1950 gehaltene und 1955 schriftlich veröffentlichte Rede „Über den Kolonialismus“ hinterlässt Wirkung und trifft mitten in die weiße Seele. Erst 1994 durften französische Schüler die Rede Césaires in Abiturarbeiten beleuchten. Später wird der Text wieder aus dem schulischen Alltag verbannt, da die französische Nationalversammlung den Vergleich zwischen Kolonialismus und deutschem Nationalsozialismus für übertrieben und nicht sachgemäß ansieht. Césaire hatte behauptet, dass Hitler letztlich mit den Methoden des Kolonialismus Europa in den Ruin getrieben hat: „[Was man Hitler im Grunde nicht verzeiht ist] nicht das Verbrechen an sich, das Verbrechen am Menschen, dass es nicht die Erniedrigung des Menschen an sich, sondern dass es das Verbrechen gegen den weißen Menschen ist, dass es die Demütigung des Weißen ist und die Anwendung kolonisatorischer Praktiken auf Europa, denen bisher nur die Araber Algeriens, die Kulis in Indien und die Neger Afrikas ausgesetzt waren.“
Die 1950 gehaltene und 1955 schriftlich veröffentlichte Rede „Über den Kolonialismus“ hinterlässt Wirkung und trifft mitten in die weiße Seele. Erst 1994 durften französische Schüler die Rede Césaires in Abiturarbeiten beleuchten. Später wird der Text wieder aus dem schulischen Alltag verbannt, da die französische Nationalversammlung den Vergleich zwischen Kolonialismus und deutschem Nationalsozialismus für übertrieben und nicht sachgemäß ansieht. Césaire hatte behauptet, dass Hitler letztlich mit den Methoden des Kolonialismus Europa in den Ruin getrieben hat: „[Was man Hitler im Grunde nicht verzeiht ist] nicht das Verbrechen an sich, das Verbrechen am Menschen, dass es nicht die Erniedrigung des Menschen an sich, sondern dass es das Verbrechen gegen den weißen Menschen ist, dass es die Demütigung des Weißen ist und die Anwendung kolonisatorischer Praktiken auf Europa, denen bisher nur die Araber Algeriens, die Kulis in Indien und die Neger Afrikas ausgesetzt waren.“
Im Konzept der Negritude wird die
kulturelle Selbstbehauptung der Afrikaner betont. Afrikaner haben genauso wie
Europäer ihre eigene Kultur, ihre eigene Philosophie und ihre eigene
Geschichte. Sie verfügen über kulturelle Fähigkeiten der Lebensbewältigung und
Deutung der Welt. Die Negritude klagt an, dass alle menschlichen
Fähigkeiten und Errungenschaften nur durch die eurozentristische Brille
beleuchtet werden und somit eine Schieflage entsteht. So ist z.B. der
afrikanische Tanz nicht als „triebhaft“ oder „wild“ anzusehen, sondern als ein
legitimier Ausdruck sensitiver, sinnlicher Elemente und Ausdruck authentischer
afrikanischer Emotionen. Er ist eingebettet in ein Weltbild und in die
afrikanische Denk- und Lebensweise. Wie lange hat man auch in
christlichen Kreisen z.B. von der „Negermusik“ gesprochen, wenn Lieder mit
Schlagzeug und deftigen Rhythmen begleitet wurden und diese Art der Musik als
„Teufelszeug“ abgestempelt. Bei der Jazzmusik wurde suggeriert, dass es
sich hier um eine afrikanisch beeinflusste sensuelle Verführungsrhythmik
handelt.
Césaire lehrt uns, Abschied zu
nehmen vom exklusiven Anspruch, den Anderen nach unserem eigenen Bilde zu
schaffen und zu behaupten, dass der Nächste nur das sei, was wir in ihm sehen.
Jedem Menschen steht das Recht zu, selber zu sagen, wer er ist, was er
denkt und wie er die Welt gestalten will. Césaire, der Vater der Negritude und
Protagonist der afrikanischen Selbstbehauptung, schreibt es in unser Herz, dass
niemand auf Kosten des Anderen herrschen darf. Alle Kulturen dieser Welt sind
gleichermaßen hilfreich bzw. defizitär. Sie sind allesamt menschliche Produkte
von unterschiedlichen Menschen in unterschiedlichen Kontexten.
Das ist die Lektion, die ich von
Césaires lernen will: … sich als Mensch der westlichen, weißen Hemisphäre
auf die Seite derer zu stellen, denen die weiße Rasse die Seele geraubt und in
den Sumpf der Minderwertigkeit getrieben hat.
Césaires Plädoyer ist ein wichtiger
Beitrag bei der Suche nach kultureller Integration, denn: „Keine Rasse
besitzt das Monopol der Schönheit, der Intelligenz, der Kraft … für alle
ist Platz beim Stelldichein des Sieges“.
Bildquelle: http://www.culturejazz.fr/IMG/jpg/Cesaire.jpg
Bildquelle: http://www.culturejazz.fr/IMG/jpg/Cesaire.jpg
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