Feinde lieben und sie segnen - wider die Alternativlosigkeit des Krieges

Wenn Christen, ob Europäer oder Afrikaner, gewaltbereiten und ihnen feindlich gesinnten Jihadisten mit einem freundlichen Gruß und einem segnenden Gebet auf den Lippen begegnen, dann ist das eine „Waffe“, die die Alternativlosigkeit der Rache und rechtsstaatlicher Mittel alt aussehen lässt.

Aus aktuellem Anlass

Wie mit Terroristen umzugehen sei, darüber wird im Anschluss an ein Interview von Margot Käßmann, EKD-Botschafterin für das 500-jährige Reformationsjubiläum, heftig diskutiert.
What would Jesus do – wenn er leibhaftigen Terroristen gegenüberstehen würde? Käßmann, der eine fundamentalistische, unverantwortliche, weil weltfremde pazifistische Position vorgeworfen wird, sagte im Interview gegenüber Reportern ...
der „Bild am Sonntag“: „Jesus hat eine Herausforderung hinterlassen: Liebet eure Feinde! Betet für die, die euch verfolgen! (vgl. Matth. 5,44). Er hat sich nicht verführen lassen, auf Gewalt mit Gewalt zu antworten. Für Terroristen, die meinen, dass sie Menschen im Namen Gottes töten dürfen, ist das die größte Provokation. Wir sollten versuchen, den Terroristen mit Beten und Liebe zu begegnen.“
Der Vorwurf lautet, dass Käßmann die im Interview bezogene Position der Gesinnungsethik eins zu eins in Form einer realen Verantwortungsethik auf politische Prozesse und die Rolle des Staates übertragen wolle. Dies, so die Kritiker, sei sowohl weltfremd als auch gegen die Zwei-Reiche-Lehre des großen Reformators Martin Luther. Der habe immer zwischen der Verantwortung der Kirche und der des Staates unterschieden. Folglich muss der Staat gegenüber Terroristen mit allen Mitteln des Rechtsstaates durchgreifen und sie zur Verantwortung ziehen.

Blickwechsel
Wir haben letzte Woche anlässlich eines Gefängnisbesuches leibhaftigen Jihad-Terroristen gegenüber gesessen. Dabei haben wir gemerkt, dass es im Sinne der Gesinnungsethik sehr wohl möglich ist, zu beten, freundlich zu sein, Worte zu wechseln und dem Feind ohne Hass ins Auge zu schauen. Wir waren dennoch beruhigt, dass diese Leute hinter Gittern saßen. Sie haben gemordet und dafür müssen sie sich verantworten! Aber es gibt zusätzliche Alternativen des Umgangs mit Feinden. Es ist auch möglich, in der „Gesinnung“ Jesu den Gedanken zuzulassen, Böses nicht mit Bösem zu vergelten. Wenn Christen, ob Europäer oder Afrikaner, gewaltbereiten und ihnen feindlich gesinnten Jihadisten mit einem freundlichen Gruß und einem segnenden Gebet auf den Lippen begegnen, dann ist das eine „Waffe“, die die Alternativlosigkeit der Rache und rechtsstaatlicher Mittel alt aussehen lässt. Wer, wenn nicht Christen, könnte den alternativen Weg der Begegnung mit Feinden aufzeigen? 

Denn, und da hat Käßmann recht, wäre es unklug, sich ständig auf das Spiel der Terroristen einzulassen „und mit noch mehr Gewalt und noch mehr Einschränkung unserer Freiheit zu reagieren“. Wir haben uns entschieden, die Jihadisten im Gefängnis zu besuchen, obwohl es Sicherheitswarnungen gab, die Umgebung des Gefängnisses wegen möglicher Befreiungsversuche zu meiden. Sollen wir uns zu Hause einbunkern, nur weil die Eventualität besteht, dass Gesinnungsgenossen der Terroristen sich in der Gegend aufhalten könnten? Die Einschränkung dieser Freiheit wollten wir nicht hinnehmen. Die Begegnung mit den Feinden zu suchen ist auch ein Ausdruck von Verantwortungsethik und nicht nur idealistischer gesinnungsethischer Wahn.

Biographischer Zwischenruf
Es bleibt dabei. Ein Staat muss Verantwortung übernehmen. Ihm obliegt es, staatliche Gewalt zur Wahrung des Rechts und zur Bestrafung des Unrechts wahrzunehmen. Aber es braucht aus christlicher Sicht auch immer die diese Maßnahmen ergänzende alternative Stimme des Evangeliums und die nichtstaatlichen Wege der Versöhnung. Das Entsenden von Truppen, die von Taktik und fatalen Zugeständnissen geprägten diplomatischen Resolutionen, der Griff zu den Waffen und das Ausholen zu Gegenschlägen dürfen nicht zur alternativlosen Strategie erhoben werden. Ich bin kein radikaler von Blindheit geschlagener Pazifist. Dennoch habe ich 1978 den Wehrdienst aus politischen und aus gesinnungsethischen Gründen (offizieller Sprachgebrauch damals: aus Gewissensgründen) verweigert. Der sich anschließende Zivildienst war ein Dienst an der Gesellschaft. Diese Haltung mussten wir als 18-jährige vor einem Tribunal in Form eines „Verhörs“ rechtfertigen. Wir waren Kriegsdienstverweigerer. Und das aus gutem Grund:

  • Armeen sind einerseits notwendige Instrumente eines Staates zur Aufrechterhaltung des Friedens. Sie dienen zum Schutz der Staatsgrenzen und der Sicherheit der Bürger. So weit so gut.
  • Aber es geht auch um potentiellen Kriegsdienst. Und die Geschichte zeigt, dass die Mehrheit militärischer Einsätze nicht der Friedenssicherung diente, sondern dem aggressiven Verfolgen und der Verteidigung geopolitischer und wirtschaftlicher Interessen. 

Die weitaus größte Zahl der Kriege war die Folge missglückter Diplomatie (Preußisch-Französischer Krieg, 1. Weltkrieg), waren Angriffskriege (2. Weltkrieg) oder Kriege, die zur Demonstration der Überlegenheit der eigenen politischen Doktrin (z.B. Kolonialkriege oder Bushs Kampf gegen die Achse des Bösen) dienten. Bertrand Russel resümiert nachdenklich: „Die Weltgeschichte ist auch die Summe dessen, was vermeidbar gewesen wäre.“ Als Kriegsdienstverweigerer bin ich dennoch kein Idealist. Selbstverteidigung halte ich für legitim. Ludwig Marcuse sagte vollmundig: „Ein Friedlicher ist einer, der sich totschießen lässt, um zu beweisen, dass der andere ein Aggressor gewesen ist.“ Der Satz hat was, aber wer besitzt schon so viel Mumm, wenn es darauf ankommt?

Präventivkriege
Präventivkriege (z.B. Irakkrieg) werden in den meisten Fällen als „gerechte Kriege“ dargestellt. Sie sind es aber in Wirklichkeit nicht. Die Protagonisten des Präventivkrieges stellen diese Maßnahme als das kleinere Übel dar, mit dem größeres Übel vermieden werden soll. Die Rechnung ginge auf, wenn nachgewiesen werden könnte, dass die Motive auf der Wahrheit beruhen und die Strategie geeignet ist, das Wohl unschuldig leidender Menschen auf lange Sicht herzustellen. Gerade die Entwicklungen im Nahen Osten haben gezeigt, dass der Schuss „gewaltig“ nach hinten losging. Leider gibt auch die jüngere Geschichte, was die Rechtfertigung von Kriegen angeht, Otto von Bismarck recht. Er sagte: „Lügen können Kriege in Bewegung setzen, Wahrheiten hingegen können ganze Armeen aufhalten.“ Der Irakkrieg hat gezeigt, dass er auf geheimdienstlichen Lügen basierte und in der Folge dem islamistischen Terrorismus eher Vorschub geleistet hat, als ihn zu verhindern. Diese Entwicklung rechtfertigt keineswegs den Terror, aber er hilft die Hintergründe zu verstehen und die Pseudowahrheit vom gerechten Präventikrieg ad absurdum zu führen.

Gerechte Kriege
Gerechte Kriege gibt es nicht – weil es in jedem Krieg zu Ungerechtigkeiten kommt, auch wenn das Motiv zum Eintritt in einen Krieg als nobel erscheint. Die lateinamerikanische Conquista während des16. Jahrhunderts wurde mit der Überlegenheit der europäischen Zivilisation und des christlichen Glaubens und mit dem Ziel der Christianisierung legitimiert. In Wirklichkeit ging es um territoriale Eroberung, um gewaltsame Kolonialisierung und wirtschaftliche Ausbeutung. Es ging um Gold und Macht. Dies besagen schon einschlägige Aussagen aus dem Bordbuch von Christoph Columbus. Bartolmé de las Casas, Missionar und Dominkanermönch, hat die Farce vom gerechten Krieg gegen Heiden und "Unmenschen" entlarvt und in seinem "Kurzgefaßten Bericht von der Verwüstung der Westindischen Länder" das Vorgehen von Portugiesen und Spanier als "ungerechten Krieg gegen die Menschheit" entlarvt. Und all die dabei beteiligten Soldaten waren Mittäter und Instrumente dieser menschenverachtenden Machtpolitik.

Armeen sind immer auch ein Instrument in den Händen von Politikern, das missbraucht werden kann. Das hat gerade die deutsche Geschichte gezeigt. Von daher ist es mehr als gerechtfertigt, dass in Deutschland lange darüber diskutiert wurde, ob es überhaupt zur Bildung der Bundeswehr kommen sollte. Und es ist nach wie vor gerechtfertigt, wenn Leute zeigen, dass sie sich nicht instrumentalisieren lassen wollen – im Sinne von Reinhard May: Meine Söhne kriegt ihr nicht!
Gerade das Mitlaufen im Wahn einer das eigene Volk, oder die eigene Ideologie in den Vordergrund stellenden Haltung hat in Deutschland Kriege ermöglicht. Der Aufstand gegen die anonyme Vereinnahmung war bei vielen Kriegsdienstverweigerern ein Motiv. George Bernard Shaw gab zu Bedenken: „ Krieg ist ein Zustand, bei dem Menschen aufeinander schießen, die sich nicht kennen, auf Befehl von Menschen, die sich wohl kennen, aber nicht aufeinander schießen.“ Wer mag sich schon an diesem „anonymen Zustand“ beteiligen und die Suppe auslöffeln, die Machthaber uns einbrocken.

In dem Kinostreifen „Troja“ leuchtet ein treffendes Zitat hervor: „Krieg bedeutet, dass alte Männer reden und junge Männer sterben.“ Krieg sei das letzte Mittel der Politik, wird uns gesagt. Leider haben wir inzwischen das Vertrauen verloren, dass die vorletzten Mittel des Dialogs und der Verständigung wirklich ausgeschöpft wurden. Dadurch hinterlässt der Krieg als das „letzte Mittel“ immer ein Gefühl des Voreiligen und des Vermeidbaren.

Gerechtfertigte Kriege
Die einzige Form des zu rechtfertigenden Krieges ist m.E. die, wenn es darum geht Unschuldige und Machtlose gegen die Gewalt einer Unrecht ausübenden Übermacht zu schützen oder im Falle eines drohenden Genozids Schlimmeres zu vermeiden. Das Eingreifen in Ruanda-Burundi, auf dem Balkan oder der Schutz der Jesiden wäre als eine Maßnahme rechtserhaltender Gewalt m.E. zu rechtfertigen. Sich in diesen Fällen auf die Position eines radikalen Pazifismus zu berufen, wäre meiner Meinung nach ein Fehler und sogar unmoralisch.

Alternative Wege der Verständigung
Die Verweigerung des Kriegsdienstes und am Dienst mit der Waffe ist aus christlicher Sicht auch ein Hinweis darauf, dass zu wenig für Völkerverständigung und präventive Friedenssicherung getan wird. Ich wage zu behaupten, dass Missionare, die lange Zeit in einer fremden von anderen kulturellen und ideologischen Prämissen geprägten Gesellschaft leben und arbeiten, einen wichtigen Beitrag zur Verständigung unter den Völkern und Friedenssicherung beitragen. Das geschieht gewaltlos und präventiv. Von der Mehrheit der Muslime haben wir in Mali nichts zu befürchten, weil wir gelernt haben zu koexistieren.

Den Jihadisten, denen wir letzte Woche gegenüber saßen, gehört der Prozess gemacht. Daran besteht kein Zweifel. Sie müssen mit den einem Staat zur Verfügung stehenden Mitteln zur Rechenschaft gezogen werden. Das ist verantwortungsethisch notwendig. Genauso richtig und notwendig ist es aber, für diese Leute zu beten und mit ihnen zu reden. Die dieser Haltung zugrunde liegende Gesinnung gerät in diesen Tagen, wo die Welt durch Gewalt und Terror aus den Fugen zu geraten scheint, unter die Räder.

Zum Schluss
Es wäre unmoralisch, Terroristen lediglich mit einer pazifistischen Gesinnung zu begegnen. Die von Paulus in Römer 13 betonte Verantwortung des Staates, Übeltäter zu bestrafen, gehört dazu. Es wäre aber aus christlicher Sicht genauso unmoralisch, wenn angesichts des Terrors nur zu Gegenschlägen, Vergeltung oder zur Entsendung von Schutztruppen aufgerufen wird. Von daher tuen pazifistische Zwischenrufe und Zitate aus der Bergpredigt gut, weil sonst die Realpolitik mit ihrer Law&Order-Haltung und ihrer diplomatischen Ohnmacht die Überhand gewinnt. Es gehört zu den Aufgaben eines Staates, Feinde und Unrecht zu bestrafen. Aber nicht nur. Staat und Gesellschaft sollten auch nach Möglichkeiten Ausschau halten, „was und wie wir unseren Feinden Gutes tun können“. Dadurch könnten Gesinnungsethik und Verantwortungsethik miteinander versöhnt werden.

Kommentare

  1. Danke Alfred für diese Gedanken. Ich hatte nach genau so einer Argumentation gesucht weil ich sie zwar denken aber nicht so gut formulieren kann :-)
    Thomas Henniger

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