TSR | Letzte Runden

Als wir 2006 von Mali nach Deutschland umzogen, haben wir eine Heimat verlassen. Wir fühlten uns wohl in Mali. Fast 18 Jahre missionarische Arbeit hatten unser Leben enrom bereichert. Deutschland wurde zu unserer Wahlheimat. Deutschland hatte sich verändert. Wir mussten uns erst einmal eingewöhnen als Familie. Neues Haus, neue Nachbarn, neue Schule, weiße Menschen in der Mehrzahl, neue Arbeitsplätze und Kollegen – und immer nur Deutsch reden. Der Prozess der Reintegration dauerte lange. Wir sind dankbar, dass unsere Kinder die Kurve gekriegt haben. Schulabschlüsse erreicht, Ausbildungen und Studien beendet, ins Berufsleben eingestiegen, den ein oder anderen Partner fürs Leben gefunden. Alles spannende Geschichten. Wenn wir Mitte August Deutschland verlassen, um wieder nach Mali zurückzukehren, dann tun wir das mit einem guten Gefühl. Unsere Kinder engagieren sich im Leben und in der Gemeinde. Sie verstehen sich gut, helfen einander und haben gute soziale Netzwerke aufgebaut. Das wird schon. 
Jetzt drehen wir unsere letzten Runden und schauen gespannt nach Afrika. 
Abschied nehmen ist immer so eine ambivalente emotionale Kiste. Der hat immer zwei Seiten: Freude auf die Zukunft, auf neue Begegnungen, auf neue Ziele und gleichzeitig liebe Menschen zurücklassen. Grüne Wiesen und gute Luft in Deutschland und staubige Hitze in Mali usw. 
Doch wir sind davon überzeugt, dass die großen Herausforderungen in Mali es mehr wert sind angepackt zu werden, als an der relativen Gemütlichkeit in Deutschland festzuhalten. 
Abschiedskaffee mit lieben Kollegen. Aussteigen aus einer Arbeitswelt, die meist zufriedenstellend, mal herausfordernd war. Zig Unterrichtsstunden gestaltet, Abläufe verstanden und nachvollzogen, für Neuerungen gekämpft, den Kopf geschüttelt und auch mal lieber nichts gesagt. 
Und in diesen Tagen: Letzte Unterrichtsstunden. Luftballons und Grußkarten von Seminaristen und Kollegen. Worte des Dankes und gute Wünsche. Letzte Prüfungen und Korrekturen, Notenlisten. Einen dicken Haken setzen hinter acht Jahre Arbeit am Theologischen Seminar Rheinland. 
Was bleibt? 
Mit Theologie das Leben von Menschen prägen, zur Eigenständigkeit verhelfen, das waren meine Ziele. Den eigenen Lebenshorizont einbringen und Erfahrungen teilen. Vermitteln, dass Theologie mit verantwortlicher intellektueller Arbeit verbunden ist und, dass Theologie auch Spaß macht, wenn sie ins Leben fällt und sich so Konturen und Perspektiven herausbilden, die Gottes Handschrift zeigen. 
Die meiste Zeit habe ich damit verbracht, Unterricht vorzubereiten und zu gestalten, in Fächern, die mir am Herzen liegen. 
Historische Theologie, die mich demütig sein lässt in meinen Ambitionen, gegen die Arroganz der Spätgeborenen. Geschichte, die meinen Horizont erweitert und Ehrfurcht und Respekt vor den vielen Lehrmeister des Lebens aus vergangenen Tagen hervorbringt. 
Missionswissenschaft, das Herz aller Theologie. Die reichhaltige und von Höhen und Tiefen geprägte Geschichte der Ausbreitung des Christentums. Das Nachdenken, wie Mission aus der Mitte des Herzens Gottes theologisch begründet werden kann. Das Nachsinnen über den Umgang mit Kulturen und die vielen Fragen, wie die gute Botschaft Gottes glaubwürdig, in Ehrfurcht vor dem Leben der anderen ehrlich kommuniziert und gelebt werden kann. 
Ich hatte es mit motivierten Studierenden zu tun, die Interesse gezeigt und viel nachgefragt haben. Unter ihnen gab es durchaus auch akademische Typen, in der Minderheit  zwar, und dann die mehrheitlich eher an der Praxis Interessierten. Es sind mir auch solche begegnet, von denen ich bis heute nicht sagen kann, was sie geritten hat, eine theologische Ausbildung zu absolvieren. Forget it! Ich muss ja nicht alles checken. 
Beim Korrigieren so mancher Prüfung und Durchlesen von unzähligen Hausarbeiten habe ich mir auf die Oberschenkel geklopft, weil da wirklich gut durchdachte und gewinnbringende Sachen dabei waren. Manchmal habe ich herzlich gelacht über schiefe und lustige Formulierungen und angesichts akademischer Querschüsse und gähnender Leere die Augen verdreht. Frank Ribery auf dem linken Flügel der Reformation – nicht schlecht. Aus dem Fegefeuer wird ein Pflegefeuer und den iroschottischen Missionaren wird eine Irokesenfrisur verpasst. Kreativ-köstlich. Und – nicht beantwortete Fragen auf Prüfungsbögen haben ja auch einen Vorteil: man muss sie nicht lesen und korrigieren. Zeitersparnis.
Wichtig waren mir auch die persönlichen Gespräche mit vielen Studierenden. Wir haben unser Leben geteilt, sind zu missionarischen Einsätzen im In- und Ausland unterwegs gewesen, haben Partys gefeiert, gegen den Ball getreten, Lebensperspektiven ausgelotet. Das hat mir Spaß gemacht. Es ist nicht immer leicht, das Rollenspiel zwischen Lehrer und Schüler zu durchbrechen und sich einfach als Menschen auf einer Ebene zu begegnen. Manchmal ist es gelungen. 
Ich danke meinen Kollegen, für engagierte Sitzungen, persönliche Gespräche und die gemeinsame Zeit.
Auch unter den Seminaristen habe ich Freunde gewonnen, die schon längst das Seminar verlassen haben, mittlerweile verheiratet sind, im Beruf stehen und Familien gegründet haben. Das bleibt in Erinnerung und ich schätze das sehr. 
Am 22. Juni ist mein letzter Arbeitstag. Dann fällt der Hammer. Wir werden unser Haus bestellen und Kisten packen und Afrika ins Visier nehmen … am 6. Juli findet die Aussendungsfeier statt. Noch ein paar Tage Urlaub. Abschied. In den Flieger steigen … 
Ich danke allen, die die letzten Jahre zu einer reichen, lustigen, herausfordernden und sinnvollen Zeit gemacht haben.
Alles hat seine Zeit – Erinnern, Dankbar sein und Weitergehen.

Kommentare

  1. Katja S.09:24

    Sehr schön geschrieben Alfred :)
    Am besten gefällt mir der Satz "Doch wir sind davon überzeugt, dass die großen Herausforderungen in Mali es mehr wert sind angepackt zu werden, als an der relativen Gemütlichkeit in Deutschland festzuhalten."
    Eine wirklich wichtige Wahrheit :)
    Alles alles Liebe euch!

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  2. Ralf K.09:45

    Gottes Segen für Euren Start in Mali und ganz herzlichen Dank, dass Du mich unterrichtet hast :-)
    Grüße. Ralf K.

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