Ist doch sowieso alles nur Theorie. (1)

Die Theorie hat keinen guten Ruf. Sie ist grau, langweilig und eintönig. Sie verbreitet eine trübe Stimmung – so wie der graue Nebel, der Landschaften verdeckt und ihre Farben nicht zur Geltung kommen lässt. Wir benutzen die Farbe grau und reden von der grauen Vorzeit, sehen alles grau in grau, wenn wir eine pessimistische Grundhaltung zum Ausdruck bringen wollen. Uns graut vor etwas, wenn wir uns Herausforderungen stellen und mit unangenehmen Dingen beschäftigen müssen.

Ausgerechnet Johann Wolfgang Goethe, der große deutsche Schriftsteller, hat der Theorie diesen schlechten Ruf eingebrockt. In Goethes Faust lästert Mephisto: „"Grau, teurer Freund, ist alle Theorie, und Grün des Lebens goldner Baum."
Der Satz suggeriert: Nicht auf die graue Theorie, sondern auf die Praxis, das blühende Leben kommt es an.
Was ist eigentlich eine Theorie? Wozu sind sie nützlich? Welche Bedeutung hat die Bildung von Theorien in der theologischen Arbeit?

Woher stammt das Wort Theorie? 
Theorie - das ist ein sehr alter Begriff aus der griechischen Sprache. Er ist aus zwei Wörtern zusammengesetzt – thea/theo (Anschauung/ Gott) und horáein (sehen). Die enge Verbindung zum Begriff theos (Gott) ist nicht zufällig.
Aus diesen beiden Wortelementen ist das Verb "theorein" entstanden. Es meint „genau hinschauen, dem Ursprung der Dinge auf den Grund gehen “.  Der Theoretiker in diesem Sinn ist also kein Träumer, sondern ein Sucher, jemand, der den Sinn hinter den Dingen und Erfahrungen ergründen möchte.
Auch das Wort „Theater“ hat hier seinen Ursprung. Leute kommen zusammen, und schauen sich ein Bühnenspiel (Theaterstück) an. Da Theaterstücke die Wirklichkeit lediglich pointiert, verzerrt, bildhaft und lückenhaft wiedergeben, ist das „theoretisieren“ zu einer Tätigkeit geworden, die nur sehr bedingt etwas mit dem wahren, richtigen Leben zu tun hat. Theorie in diesem Zusammenhang ist also ein nicht ganz ernst zu nehmendes, lückenhaftes, den Zuschauer amüsierendes Spektakel.
In dem Substantiv „Theorie“ verbergen sich aber auch Wörter wie „to theion“ (das Göttliche) und „to theia“ (die göttlichen Dinge). In Kombination mit dem Verb „horáein“ ergibt sich also der Sinn: das Göttliche/Gott anschauen. Das ist die menschliche Perspektive. 
Aus der göttlichen Perspektive könnte man umgekehrt auch sagen: Gott schaut genau hin.  Auch Gott will verstehen, was im Kosmos und in der Menschheitsgeschichte passiert und diesen Entwicklungen auf den Grund gehen. Ist Gott also auch ein Theoretiker? Möglicherweise.

Diese beiden Sichtweisen klingen auf jeden Fall schon ernsthafter und gründlicher als ein von Menschen entworfenes Theaterstück.
Der Theoretiker ist also jemand, der genau hinschaut – und aufgrund der Entstehungsgeschichte könnte man sagen: er schaut Gott an. Da Gott in der klassischen Philosophie der griechischen Antike „der Eine“, das „absolut Gute“, oder "das erste Prinzip" ist, der/das außerhalb der sichtbaren Welt existiert, muss der Theoretiker sich notwendigerweise von der Vielfalt des bunten Lebens lösen, um sich dem Einen kontemplativ und gedanklich zu nähern.
Aus dieser Gedankenkombination ist Theorie im Lateinischen gleichzusetzen mit "contemplatio" (spekulative Schau). Da sich im Mittelalter die Kontemplation auf geistige Arbeit, Bibelstudium und Gebet bezog, ist die Annahme entstanden: Theorie bedeutet, sich zurückzuziehen und sich Gedanken über Gott und die Welt zu machen, den Dingen auf den Grund gehen, Prinzipien erschließen – losgelöst vom eigentlichen wahren, bunten, vielfältigen Leben.
Aber, das ist nicht die einzige Möglichkeit, den Begriff "Theorie" zu definieren.
Grau ist die Theorie nur dann, wenn sie um des Nachdenkens selbst betrieben wird, sich also im Selbstzweck verliert. Bunt bleibt sie, wenn sie den konkreten, beweglichen Dingen des Lebens auf der Spur bleibt und zur Gestaltung des Lebens beiträgt.

Demnächst mehr:
Wie haben die alten Philosophen den Begriff Theorie definiert und gedeutet?
Brauchen wir in der Theologie Theorien und wenn ja, welche?

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