Da klebt es fett – das Etikett.


Reinhard Mey, ein deutscher Liedermacher, sang vor Jahren ein Lied übers Etikett, über diese lästigen Schilder auf den Waren, die wir aus den Läden nach Hause schleppen. In seinem Song stellt der Künstler scharfsinnig fest: Es lastet ein Fluch auf dem Etikett. Jedes Ding hat eins, überall findest du es  – am Jackett, am Kotelett, auf dem Kopf hinterm Brett, am Brikett, am Korsett, jedem Ding von A bis Z klebt es dick und fett: das Etikett! – Da steht drauf, wer du bist und was du wert bist. Und das absolut Blöde an diesen Etiketten ist, dass man sie schwerlich wegrubbeln kann. Reinhard Mey hat es mit Benzin und Nagellackentferner, mit Scheren und anderem Gerät versucht. Vergeblich.
Das Etikett, die aufgestickten Logo und die bunten Aufkleber entscheiden darüber, für wen du Werbung machst, in welchem Regal du liegst oder in welche Schublade man dich steckt.  

Leute, die sich Evolutionspsychologen nennen sagen: Etiketten im menschlichen Miteinander sind Vorurteile. Und - Vorurteile dienen dem Überleben, dadurch dass man unterscheiden kann, wer der Eigengruppe oder der Fremdgruppe angehört. Etiketten haben sich also im Laufe der Menschheitsgeschichte entwickelt, damit wir wissen, wo wir beim anderen dran sind. Das gibt ein Gefühl der Sicherheit. Etikettenbildung als Überlebenskunst.
Manchmal habe ich den Eindruck, dass Menschen nur dann glücklich sind, wenn sie andere Menschen und Gruppen irgendein Etikett verpasst haben.
Das trifft nicht nur auf Politik und Gesellschaft zu oder auf die makrokulturellen Zusammenhänge. Politiker werden eingeordnet in links und rechts, in konservativ und neoliberal, in nationalistisch oder sozialistisch. Und aus der politischen Etikettiererei erwächst ein Fraktionszwang, der dem Machterhalt dient, aber nicht immer zu einer wirklich guten politischen Lösung führt. Auch in der Gesellschaft wird der Mensch in Schubladen gesteckt, in moderne und postmoderne, in antiquierte und progressive. In irgendeinem definierten und empirisch nachgewiesenen Milieu steckt ein jeder von uns. Jeder bekommt sein Etikett. Und im kulturellen Vergleich läuft jeder Deutsche mit einer Lederhose durch die Gegend und einem Glas Bier in der Hand, jeder Amerikaner trägt einen Westernhut und hat einen Colt im Schrank und der Franzose ernährt sich von Froschschenkeln und gutem Wein.
Jeder von uns weiß, dass es diese Stereotypen in Reinform nicht gibt und trotzdem prägen sie unser Bild vom anderen, beeinflussen unser Denken und schaffen so Vorurteile.
Im christlichen Raum ist das genauso. Du bist Katholik, Lutheraner oder Pfingstler, Angehöriger einer anerkannten Großkirche oder einer Freikirche, die von den anderen als eine Fast-Sekte betrachtet wird. Du bist rechtgläubig und bibeltreu, kulturverliebt und gesellschaftsrelevant, liberal und radikal – Hauptsache, du passt in eine Schublade.
Studierende an Bibelschulen haben ein frommes, bibeltreues Etikett. Und ihre Altersgenossen an den Universitäten in unserem Land – das sind die, die Theologie nur als Wissenschaft betreiben und in Wirklichkeit gar nicht glauben, dass die Bibel Gottes Wort ist. Der Dozent am Seminar, das ist ein ganz lieber, der Prof an der Uni ein liberaler Knochen. Die einen sind fundamentalistisch, die anderen tolerant. Es ist ja nicht zu bezweifeln, dass die universitäre Theologie in unserem Land liberal geprägt ist. Doch es gibt auch hoch motivierte und im guten Sinne des Wortes geistliche Typen unter den Hochschullehrern. Desgleichen gibt es auch Theologiestudenten, die aus gutem Grund ihr Studium nicht an einem evangelikalen Institut, sondern an einer staatlichen Universität absolvieren. Und um deretwillen verbietet sich jegliche pauschalisierende Etikettierung.

Und da gibt es die frommen Wächter in der Republik. Sie passen genau auf. Sie beobachten, beraten und drucken die Etiketten und verteilen sie. Sie fördern die Un-Kultur der Einordnung und der Ausgrenzung.
Und plötzlich hast du dein Etikett – an deinem Kopf, auf deinem Brett.
Die Leute im Westen, sie haben es erfunden, das Denken in Schwarz und Weiß, Gut und Böse, drinnen und draußen. Nein, Leute, es geht mir auf den Geist, dieser Geist vom Etikett. Ich wünsche mir eine Basis der Freiheit und des Vertrauens und eine Kultur der Kommunikation, die nicht von political correctness ausgebremst wird (Es kann nicht sein, was nicht sein darf!). Ich wünsche mir Bereitschaft, voneinander zu lernen, geprägt von Transparenz und Ehrlichkeit. Von einem lateinamerikanischen Befreiungstheologen kann ich lernen, genauso wie von einem fundamentalistischen Theologen aus dem US-amerikanischen „bible belt“. Moltmanns Theologie der Hoffnung hat mein Denken erweitert, Pannenbergs Geschichtstheologie fasziniert mich. Mich beeindrucken die ethische Relevanz der Black Theology und die asiatische Theologie des Leidens. Luthers sola scriptura, das theologische Fundament der Treue zur Schrift, daran halte ich fest und auch an der pietistischen Liebe zum Gekreuzigten. Von der Lebendigkeit, der geistlichen Vielfalt der Charismatiker möchte ich lernen, von der geheimnisvollen Frömmigkeit der Orthodoxen und auch von der Radikalität der Neomonarchisten von Simple Way (Shane Claiborne).
Mal ehrlich, wem helfen die Etiketten, die Schubladen und Apothekenschränke in unseren Köpfen? Sie helfen zu unterscheiden. Klar. Aber vor allem tun sie eins: sie engen ein. Sie grenzen aus. Sie gehen mir auf den Senkel. Die Wächter und Etikettenverteiler können mir gestohlen bleiben. Gott ist souverän und er kann meine Theologie und mein geistliches Leben inspirieren mit Ideen aus aller Herren Länder und aus allen kirchlichen Traditionen. 

Kommentare

  1. Oliver Lu20:34

    Was du da schreibst ist sehr herausfordernd. Da denke ich sofort: Erwischt! Du hast mich beim etikettieren erwischt. Es fällt mir schwer Menschen in schwarz und weiß zu sehen. Meistens sind sie nur schwarz oder nur weiß. Das ist für mich ganz bequem. Das Problem ist, dass andere mich auch so einordnen. Und das bedeutet nicht immer weiß. Alfred, du forderst mich heraus einen Menschen in schwarz-weiß und auch in bunt zu sehen. Ich muss bei mir anfangen, denn alles andere liegt nicht in meiner Macht. Ich mache gleich mal den ersten Schritt: Ich bete um Veränderung. Und morgen, wenn ich dann mit Euch auf einem Haufen hocke, kann Gott so richtig an mich rum ändern. Mal sehen, ob ich mich dagegen sperre oder ob ich es zu lassen. Also mein Ziel ist es, es zu zulassen.

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